Entflammt
hatte.
»Du bist ... du bist ... «, sagte er fast zu sich selbst. Er sah total entsetzt aus, hielt die Hand an seinen harten, wunderschönen Mund gedrückt und sah auf mich herab. Und genau in dem Moment, mit der kleinen Lampe hinter ihm, die seine Silhouette beleuchtete, dem Geruch des Stalls und der Pferde und der Kälte draußen, wurde mir alles klar.
Ich erstarrte und eine Erinnerung schoss mir durch den Kopf, dann eine andere. Oh, Jesus, oh, mein Gott, oh, nein ... Er sah mich schockiert und verzweifelt an. »Du bist vom Haus von Úlfur.« Seine Stimme war nur ein Flüstern und mein Herz blieb stehen und meine Kehle schnürte sich zu. »Dieses Haar, diese Augen ... deine Kraft. Du bist eine Überlebende des Hauses von Úlfur. Die einzige Überlebende.«
Meine Kehle war immer noch zu. Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Alles Blut wich aus meinem Gesicht. Ich konnte nicht atmen. Um mich herum verblasste alles mit Ausnahme seines Gesichts, das vom Schein der Lampe eingerahmt wurde.
»Und du bist ... der Winterkrieger. « Meine Stimme war dünn und brüchig, kaum hörbar. »Der Winterschlächter.«
Reyn taumelte zurück und streckte hastig eine Hand aus, um nicht durch die Bodenluke zu fallen. Selbst in der schlechtenBeleuchtung sah er grünlich und elend aus und ich hörte seinen rauen, keuchenden Atem.
Ich hatte ihn geküsst. Ihn geküsst.
»Du bist nicht zweihundertsiebenundsechzig«, sagte ich langsam. »Du bist älter als ich. Vielleicht fünfhundert? Sechshundert? Du bist vom Norden gekommen, wieder und wieder, alle paar Jahre, immer im Winter, und hast uns überfallen. Du hast ganze Dörfer ausgerottet. Meine Nachbarn vergewaltigt. Beinahe hättest du auch mich vergewaltigt, beinahe meinen Sohn getötet. Du hast Pferde und Kühe gestohlen und alles, was von Wert war. Du hast die Menschen mitnichts zurückgelassen, Menschen, die deinetwegen verhungert sind. Jedenfalls die, die du nicht gleich abgeschlachtet hast.«
Alles in mir kreischte wie am Spieß, aber trotzdem hörte sich meine Stimme fast normal an, und ein Teil meines Gehirns fügte Bruchstücke zusammen, Erinnerungsfetzen, Gerüchte, Bilder, Geräusche und Gerüche. Es kam mir vor, als wäre der ganze Stall angefüllt mit der Schwärze meiner Erinnerungen. Ich setzte mich auf und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Heuballen.
»Du bist kein Holländer«, sagte ich und lachte kurz auf.
»Du bist Isländer und Wikinger und Mongole. Ich habe mindestens vier Mal unter dir gelitten, in Noregr und Svipjoi und Island. Schließlich bin ich dir entkommen - ich zog 1627 nach Italien. Aber selbst dort habe ich noch Horrorgeschichtendarüber gehört, was du im Norden angerichtet hast.«
Reyn sah aus, als würde er nichts mehr wahrnehmen, weder mich noch seine Umgebung.
Das machte mich mutig. Ich stand auf und sah ihn direkt an. »Gerade jetzt sehe ich dich mit aufgemalten Streifen im Gesicht. Weiß, schwarz und blau.«
Er machte ein würgendes Geräusch, als wäre ihm schlecht. »Das warst du, nicht wahr? Der meine ganze Familie getötet hat? Der das Dorf meines Vaters zerstört hat. Es war deine Horde, die das Haus von Tarko-Sale vernichtet hat und die dann westwärts nach Island gezogen ist.«
Er hob den Kopf. Sein Blick war wild. »Deine Mutter hat meinen Bruder lebendig gehäutet. Dein Bruder hat ihm den Kopf abgeschlagen. Ich war draußen im Gang. Ich habe es gesehen.«
»Und wer war es, der alle umgebracht hat? Wer hat meinem kleinen Bruder den Kopf abgeschlagen?« Die Wut ließ meine Stimme immer schriller werden.
»Mein Vater.« Es war nur ein Flüstern.
»Wo ist dein Vater jetzt?« Ich fühlte mich, als müsste ich nur die Hand aufschnappen lassen, um einen Feuerball auf ihn zu schießen. Ich kam mir vor wie eine Furcht einflößende machtvolle Hexe, die durchaus imstande war, Gerechtigkeit zu üben.
»Tot. Er hat versucht, den tarak-sin deiner Mutter zu benutzen, das Amulett. Er war nicht stark genug. Der Zauber misslang und er ging in Flammen auf, wie von einem Blitz getroffen. Es blieb nur Asche übrig. Von ihm, meinen anderen zwei Brüdern und sieben seiner Männer. Nichts als Asche.«
»Was ist mit dir? Wieso bist du nicht verbrannt?«
Reyn schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Mit mir hat es das hier gemacht.« Er öffnete sein Flanellhemd und riss den Kragen seines T-Shirts herunter. Auf der goldenen Haut seiner Brust war eine Verbrennung. Genau
Weitere Kostenlose Bücher