Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
Vom Netzwerk:
dieselbe wie meine.

26
    In mir brach ein Sturm los. Wäre ich in Magie nicht so eine Niete, hätte ich ihm mit einem einzigen Wort bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, damit er genauso nackt und bloß war wie ich mit all meinen Gefühlen. Aber so blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf ihn zu stürzen, was ihn vollkommen unvorbereitet traf. Mein Körper prallte so hart gegen seinen, dass wir beide durch die Heuluke vier Meter tief fielen und mit einem umpf auf den aufgeplatzten Ballen landeten, die er bereits abgeworfen hatte.
    Ich schlug blindlings auf ihn ein, schrie ihn auf Alt-Isländisch an, versuchte, ihn zu kratzen und zu schlagen. Nach wenigen Augenblicken hatte Reyn sich von seinem Schrecken erholt, umklammerte meine Handgelenke so mühelos wie ein Schraubstock und wälzte uns beide herum, sodass mich sein Gewicht auf dem Boden festnagelte.
    Er murmelte etwas auf Isländisch, was sich für mich anhörte wie: »Sefa, beruhige dich, hör auf, du tust dir nur weh, shah«, Worte, wie man sie gebrauchte, um ein Pferd oder ein Kind zu beruhigen. Ich trat um mich, versuchte, ihn mit dem Knie zu treffen, aber er lag auf mir wie ein Felsen, rührte sich nicht und hielt mich am Boden fest wie eine Zwangsjacke. »Reyn!« Die Stimme von Solis war laut und sehr nah.
    »Nastasja!« River beugte sich über uns.
    Reyn und ich erstarrten. Ich warf einen Blick auf sein Gesicht und sah dort die Lebensspanne eines Unsterblichen, angefüllt mit Schmerz und Schuld und Bedauern und Wut. Ich schätze, er sah in meinem dasselbe.
    »Hört sofort auf - und zwar beide!«, befahl Solis. »Reyn, steh auf.« Er legte Reyn eine Hand auf die Schulter.
    Vorsichtig erhob sich Reyn, ließ meine Hände aber erst im letzten Augenblick los und verzog sich hastig aus der Reichweite meiner Tritte.
    River sah mich an. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie vor meinem Auftauchen ein wesentlich geruhsameres Leben geführt hatte.
    Ich setzte mich auf und sie kniete sich neben mich und klopfte mir das Heu ab. Meine Gefühle überwältigten mich, das Ganze war einfach zu gewaltig, um es zu begreifen. Vierhundertneunundvierzig Jahre der Verdrängung waren gerade mitten in meinem Kopf explodiert.
    »Ich weiß, wer sie ist«, sagte Reyn. Er atmete schwer, hatte seine Verbrennung aber wieder verborgen.
    »Ich weiß, wer er ist!«, sagte ich und rappelte mich auf die Beine.
    »Nun«, entgegnete River und sah von einem zum anderen. »Dann wisst ihr es jetzt.«
    Mir schwirrte der Kopf und ich sah ihr in das gelassene Gesicht. »Weißt du, wer er ist?« Ich zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn.
    »Ja«, sagte River. »Und wir wissen auch, wer du bist.« Jetzt kapierte ich gar nichts mehr.
    »Wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr beide es herausfindet«, erklärte Solis, der kein bisschen beunruhigt aussah.

    »Er muss gehen!« Ich hatte kaum ausgesprochen, da wusste ich schon, dass das Blödsinn war. Ich war als Letzte gekommen, also musste ich als Erste wieder gehen.
    »Nein«, sagte River und schüttelte den Kopf.
    Mir brach das Herz. »Gut. Dann gehe ich. Und zwar sofort.« Innerlich fing ich an zu weinen. Ich wollte nicht weg. Ich war verloren, wenn ich hier wegging.
    »Nein«, sagte River sanft. »Ihr solltet beide bleiben. Weglaufen ist keine Lösung. Früher oder später musst du dich damit auseinandersetzen. Also bleib und tue es jetzt, mit unserer Hilfe.«
    Ich sah sie fassungslos an. »Er hat Tausende getötet!« »Nicht Tausende! Und nicht in den letzten paar Hundert Jahren! «, wehrte sich Reyn. »Ich habe das alles hinter mir gelassen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte man so etwas »hinter sich lassen«? Es war das, was ihn ausmachte. Was er war. Und du hast ihn geküsst, meldete sich mein hassenswertes Unterbewusstsein. Und es genossen.
    »Das war damals«, sagte River eindringlich und hielt eine Hand zur Seite. Das ist heute.« Sie streckte die andere Hand aus. »Er ist nicht mehr in jener Zeit. Du bist nicht mehr in jener Zeit. Du bist jetzt hier. Das bist du jetzt.« Sie legte mir sanft die Hand auf die Brust. Ich konnte ihre Wärme durch den Pullover spüren.
    Sie zeigte auf Reyn. »Das ist er jetzt .«
    »Ein Arschloch!«, fauchte ich.
    »Aber kein Winterkrieger«, erwiderte River ernst. »Nicht der Winterschlächter. «
    Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich sah die drei an und stellte schockiert fest, dass sie mir vertrauter waren als all meine Freunde zu Hause.

Weitere Kostenlose Bücher