Entflammt
und nach Federn, Stroh und Hühnermist miefte. Nachdem ich die Hand in jedes Nest gesteckt hatte, zum Teil auch unter eine widerspenstige Henne, die sich weigerte, ihr Gelege zu verlassen, brachte mein Rücken mich um.
»Kusch, weg da!«, versuchte ich, die braune Henne aufzuscheuchen. Diese Hühner waren groß und dick, mit glänzenden Federn und funkelnden Augen. Sie sahen so gesund und glücklich aus wie die anderen Tiere auf dem Hof. Aber diese Henne war ein Hacker. Sie wollte unbedingt auf ihren Eiern sitzen bleiben und sie sich nicht unter ihrem Hintern wegstehlen lassen. Sie griff jeden an, der in ihre Nähe kam, und an diesem Morgen hatte ich meine Lederhandschuhe vergessen, so wie fast jeden Morgen. Was erklärte, wieso meine Hände schon aussahen wie die von Jess.
»Hör zu, wenn es nach mir ginge, könntest du deine stinkigen Eier behalten«, zischte ich. »Aber drüben im großen Haus sind sie anderer Meinung. Da stehen sie total auf deine blöden Eier. Also geh mir aus dem Weg.« Ich schnippte ein paarmal vor ihr mit den Fingern, aber sie gluckste nur empört und hatte plötzlich so ein biestiges Gleich-hacke-ich-Glitzern in den Augen.
»Verdammtes Vieh.« Ich sah in den Korb. Er war ziemlich voll. Wahrscheinlich würde es niemand merken, wenn ein paar Eier fehlten. Und wer auch immer morgen an der Reihe war, würde es sicher besser machen und den Widerstand diesesblöden Vogels brechen.
Die Henne sah mich an, als wollte sie sagen: Ja, renn du nur.
Vielleicht sollte ich doch noch einen Versuch wagen, ganz langsam und vorsichtig ...
»Hallo?«
Ich fuhr erschrocken hoch und knallte mit dem Kopf gegen den Deckenbalken. Meine plötzliche Bewegung erschrecktedie braune Henne und sie hackte ihren spitzen Schnabel in meinen Handrücken, was mich aufschreien und losfluchen ließ. Ich stampfte mit dem Fuß auf und rieb die schnell anwachsende Beule an meinem Kopf.
»Es tut mir leid«, sagte die Stimme wieder. »River sagte, dass ich herkommen soll. Ich hole hier immer Eier. Aber meistens sind sie schon im Haus.«
Anscheinend war ich spät dran.
Ich bedachte die braune Henne mit meinem bösesten Blick und verließ geduckt den Stall. Zum Teufel mit ihren Eiern.Draußen wartete Meriwether, groß und dünn, mit einem gebrauchten Eierkarton in der Hand. Sie starrte mich mit großen Augen an und schien zu überlegen, woher ich ihr bekannt vorkam.
»Ach«, sagte sie dann. »Du warst auf der Durchreise, nicht?«
»Ja. Ich hab e ein paar Karten bei euch gekauft. Wie viele willst du?«
»Ein Dutzend.« Sie fischte zwölf noch warme Eier aus meinem Korb und packte sie vorsichtig in den Karton. Mir kam es plötzlich vor, als wäre ich wieder im 19. Jahrhundert, in einer ganz normalen Alltagssituation. Diese Vorstellung gefiel mir gar nicht.
Meriwether richtete sich auf, klappte den Eierkarton zu und gab mir zwei Dollar. Ich seufzte tief und steckte sie in die Tasche meiner Jeans. Nicht gerade Hochfinanz. Ich musste wieder daran denken, wie ich vor langer Zeit ein Drittel meiner Beteiligung an der Transsibirischen Eisenbahn in den Pott geworfen hatte, um weiter bei einem PokerspieI um höchste Einsätze mitmachen zu können. Und jetzt trug ich Jeans mit Mistflecken und verkaufte Eier für zwei Dollar. »Danke«, sagte Meriwether. Auch heute sah sie irgendwieausgewaschen aus, ganz blass und leblos. Aber wer konnte ihr das vorwerfen, bei einem solchen Blödian als Vater? Siewendete sich schon zum Gehen, als ich fragte: »Was macht der Laden?«
Sie drehte sich beinahe erschrocken um. »Äh, okay, denke ich. Aber der ganze Ort hat Probleme, seit die Textilfabrik drüben in Heatherton zugemacht hat.«
»Oh.«
»Die haben Laken und Kissenbezüge produziert«, erklärte Meriwether und strich sich ein paar Haare aus den Augen. »Wir waren der einzige Drugstore in der Gegend und haben gute Geschäfte gernacht.«
»Ist dein Dad deswegen so ein muffliger Kerl?«, fragte ich, als ich sie zu ihrem Wagen begleitete. »Weil die Geschäfte schlecht laufen?«
Meriwether schluckte unglücklich und wollte anscheinend nicht zugeben, dass ihr Dad ein muffliger Kerl war. »Na, ja, er ist nicht glücklich«, murmelte sie und holte die Autoschlüssel aus der Tasche. »Meine Mom ist ... vor vier Jahren gestorben und er ... er ist noch nicht darüber hinweg.« Sie ließ sich auf den Fahrersitz fallen und löste die Handbremse. Viele Unsterbliche haben Kontakt zu normalen
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