Entflammt

Und jetzt mach – zeichne einen großen Kreis, so rund, wie du kannst.«
    Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, aber was soll's, ich bin doch schon immer ein vertrauensvoller und gehorsamer Menschgewesen!
    Also bückte ich mich und malte sorgfältig einen Kreis auf den unebenen Bretterboden. Er wurde ein bisschen krumm, aberbesser kriegte ich es nicht hin.
    »Mach ihn nicht zu«, erinnerte River mich und ich ließ eine sechzig Zentimeter breite »Tür«. Sie trat hinter mich und streute Salz direkt aus der Packung kreisförmig außen um meinen Kreis. »Salz reinigt die Dinge und bietet Schutz«, erklärte sie.
    »Das wusste ich!«, behauptete ich.
    Sie grinste mich an und bedeutete mir, in den Kreis zu treten. »Und jetzt schließen wir ihn«, murmelte sie und schloss zuerst den Salz-und dann den Kreidekreis. Jetzt saßen wir wohl fest.
    Sie legte vier Steine in die vier Himmelsrichtungen und ich wurde nervös. Es sah aus, als würde sie sich darauf vorbereiten,Blitze zu zaubern oder so etwas.
    »Äh, was machen wir hier?«, fragte ich.
    »Einen Finde-Zauber«, sagte sie.

20
    Einen Finde-Zauber. Nun, das erklärte gar nichts. Mein erster Instinkt war, aus dem Zirkel zu treten und zu rennen. Oder einfach nein zu sagen und die Arme vor der Brust zu verschränken.
    »Alles klar, setz dich mit dem Gesicht zu mir.«
    Und aus irgendeinem Grund tat ich es. Wir saßen im Schneidersitz und unsere Knie berührten sich beinahe. River streckte die Hände aus. Ich ergriff sie nur zögernd. Was wollten wir finden? Vergrabene Schätze? Einen Mörder? Den Ort, an dem Solis sein Kupferarmband versteckt hatte und den er jetzt nicht mehr wiederfand? Mir war alles recht, solange es nicht mit mir oder meiner Vergangenheit zu tun hatte. Ich fürchtete mich schon jetzt vor der unvermeidlichen Übelkeit, egal, was River sagte.
    »Dir wird nicht schlecht werden«, versicherte mir River und ich starrte sie entgeistert an.
    »Kannst du Gedanken lesen?«
    Sie lachte. »Nein. Aber ich kann Gesichtsausdrücke deuten. Für diesen Zauber werde ich deine Kraft beschränken, sie kanalisieren und kontrollieren, was sie anstellt. Ich schätze, dass sie sonst überall gleichzeitig ist, und damit kann dein Körper nicht umgehen. Alle diese Strömungen, die gegen— einander kämpfen, machen dich krank. Das ist zumindest meine Theorie.«
    »Aha«, murmelte ich.
    Und jetzt sehen wir beide in die Flamme«, wies sie mich an und nickte in Richtung der kleinen Kerze, die zwischen und stand.
    »Macheinfach mit«, sagte River mit ruhiger, entschlossener Stimme.
    »Was wollen wir finden?«
    »Dich.« Ihr Tonfall war jetzt verträumt, entrückt. Die Lider sanken über ihre klaren braunen Augen, als sie in die flackernde, tanzende Flamme schaute. Sie hatte die Kerze mit ihrem eigenen Wachs auf einem kleinen Spiegel festgeklebt; jetzt rann weißes Wachs an den Seiten herunter und floss über das silbrige Glas.
    »Nein.«
    »Es ist in Ordnung, Nastasja«, sagte River gelassen. »Du Oh, Gott, ich sterbe, dachte ich elend. Ich kann das nicht. »Du kannst das.« Sie strahlte eine gelassene Kraft aus, so intensiv wie die Wärme der Flamme. Ich schluckte und versuchte mich trotz meiner Angst auf die Kerze zu konzentrieren, meine Atmung zu verlangsamen und alle Gedanken loszulassen, wie ich es im Unterricht gelernt hatte. Ich konnte spüren, wie schnell und hart mein Herz schlug.
    Mir wurde bewusst, dass River leise zu singen begonnen hatte. Es waren richtige Worte, die ich aber nicht kannte, und so würde mir nichts anderes übrig bleiben, als mit meinem Walgesang einzustimmen, sobald ich das Gefühl hatte, dass es der richtige Augenblick war. River zeichnete mit ihren schmalen Händen Symbole in die Luft, die ich kannte: Runen. Ich kannte mich gut mit Runen aus. Die Leute hier benutzten den EIder Futhark und ich sah Eolh, der beschützt,  und Beorc für den Neubeginn. Eolh verwirrte 'mich einen Moment - Pferd? Dann fiel mir wieder ein, dass er für irgendeineVeränderung stand. Rivers Hände bewegten sich so schnell, dass ich nicht alles mitbekam, aber dann zeichnete sie die Rune Peorth auf meine Stirn. Peorth, um Verborgenes ans Licht zu bringen.
    Sie hatte gesagt, dass sie mich finden würde. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte und wollte auch nicht darübernachdenken, was es bedeuten könnte. Sollte ich ihr etwa mein ganzes Leben offenbaren? Das wäre sehr schlimm. Das wollte ich nicht. Sollte ich enthüllen, was ich wirklich dachte? Wen