Entflammt
Tag schien ein neues Kapitel meiner Karriere in Rivers Edge's zu beginnen. Da die Lehrer so besorgt reagiert hatten, verlangsamte ich mein übliches Tempo und machte alles viel bewusster, um mögliche hasserfüllte Schwingungen in meiner Umgebung nicht zu verpassen.
Ich beobachtete Nell und Reyn beim Essen und auch, wenn ich zufällig in ihrer Nähe arbeitete. Reyn gab sich alle Mühe, mich nicht anzusehen, und tat so, als wäre ich unsichtbar. Er nahm mich auch nicht mehr mit in die Stadt und wir wurden nicht mehr zusammen zur Arbeit eingeteilt. Nell schien ihre Feindseligkeit in den Griff gekriegt zu haben und war wieder auf ihre übliche falsche Art nett und freundlich.
Ich fing nichts auf und es fand auch keiner einen Hinweis auf neuerliche böse Verwünschungen. Wir passten zwar alle auf, aber allmählich sah es aus, als wäre es eine einmalige Angelegenheit gewesen, sozusagen ein Schuss vor den Bug, der nur als Warnung gedacht war.
Zumindest redete ich mir das ein.
Ein paar Tage später informierte mich Old Mac, dass er den Laden für fünf Tage schließen würde. Anscheinend ging er ein oder zwei Mal im Jahr mit seinen Kumpels zum Fischen. Ich stellte mir einen Haufen mürrischer alter Knacker vor, die sich gegenseitig etwas vorjammerten, elendig im Eiswasser herumstanden und ihre Angelschnüre auswarfen.
Aber für ihn war es vielleicht eine Therapie, eine willkommene Abwechslung vom Alltag.
Für mich war es das jedenfalls. Anfangs war ich begeistert, schließlich atte ich fünf Tage frei! -, aber dann setzte Panik ein: Was sollte ich mit mir anfangen? Zurzeit war ich jeden Augenblick des Tages beschäftigt, und selbst wenn es zwei Stunden einer total ätzenden Arbeit waren, versuchte ich mich immer darauf zu konzentrieren, was um mich herum geschah. Aber bei fünf freien Tagen würde ich mich garantiert langweilen und irgendetwas Dämliches machen, um mich zu unterhalten. Wie etwa, mich mit den Einheimischen anzulegen, in einem schicken Auto aufzutauchen, das Rauchen anzufangen oder abzureisen.
Würde das der Moment sein, in dem alles den Bach runterging, weil ich alles, was ich erreicht hatte, durch ein paar falsche Entscheidungen wieder zunichtemachte? Ich wusste, dass das passieren würde. Weil ich nämlich immer, immer alles ruinierte, was gut war.
Wie sich herausstellte, waren zumindest dieses Mal meine Sorgen unbegründet. Ich hätte mir denken können, dass die machthungrigen Sklaventreiber von River's Edge meine fünf Tage der Freiheit ausnutzen würden, um mich schuften zu lassen.
»Bald ist Jul«, verkündete River freudig und lud mir einen Riesenberg Steppdecken und Kissen auf. »Das ist die ideale Zeit für einen Großputz. Und wenn nach den Wintersonnenwende mit der längsten Nacht und dem kürzesten Tag die Tage wieder ein wenig länger und heller werden, ist es ein wundervolles Gefühl, wenn alles sauber geschrubbt und frisch ist.«
Ich sah sie über den Deckenberg in meinen Armen an. »Soll das ein Witz sein?«
»Nö.« Sie schenkte mir ihr unwiderstehliches, zeitloses Lächeln, das ihr Gesicht immer aufleuchten ließ. »Und jetzt ab ins Waschhaus mit dir. Und sei froh, dass Winter ist und du die Trockner benutzen kannst. Im Sommer machen wir dasselbe noch mal, aber dann kommt alles auf die Wäscheleine.« Sie tat so, als wollte sie mich wegscheuchen, und ich stolperte hinaus in die Kälte und konnte kaum sehen, wohin ich trat. Wenigstens muss ich die verdammten Decken nicht draußen in einem Waschkessel auskochen, dachte ich erbost. Das Waschhaus war eigentlich nur ein großer Raum in einer Ecke des Schulgebäudes, in dem sieben Industrie-Waschmaschinen und ebenso viele Trockner auf mich warteten.
Drinnen ließ ich den Berg fallen und fing fluchend an, die Decken nach Farben zu sortieren.
***
Vor langer Zeit hatte ich mal eine schwere Lungenentzündung. Meine Lungen waren voller Flüssigkeit, ich hatte hohesFieber und war praktisch im Delirium. Ein normaler Mensch wäre daran gestorben - was in diesem Winter viele taten.
Meine Freunde waren auf dem Weg in die Schweiz, um die Feiertage dort zu verbringen, und da ich zu krank dafür war,hatten sie mich unterwegs in einem deutschen Kloster abgesetzt. Sie hatten der Mutter Oberin einen Sack voll Geld gegeben und gesagt, dass sie es entweder dazu verwenden sollte, mich dazubehalten, bis es mir wieder gut ging, oder um meine Beerdigung zu bezahlen, falls ich es nicht schaffte. Ich kann mich noch gut an ihr
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