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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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loszuwerden, wusste er nicht so recht. Clayton - der ihn oft bis aufs Blut gereizt, den er aber trotz allem gemocht hatte -, wie er blutüberströmt und zusammengekrümmt am Boden lag. Schlieren seines Blutes an Wänden und Boden, dort, wo sein Todeskampf stattgefunden hatte.
    Bei jedem Mordfall, in dem er bisher ermittelt hatte, gab es einen Moment, in dem er sich - normalerweise nach ein paar Drinks - die großen, wichtigen Fragen stellte. Über den Sinn von Leben und Tod. Die Natur des Menschen. Warum wir hier waren, in diesem Universum lebten. Wer die Regeln vorgab: Gott und sein göttlicher Plan oder blinde evolutionäre Willkür. Wenn er in die Gesichter der Hinterbliebenen blickte und sah, wie sie verzweifelt versuchten, die Leere zu füllen, die der Tod eines geliebten Menschen in ihrem Leben hinterlassen hatte, wusste er, dass sie sich dasselbe fragten. Und wenn das Opfer eine jener verlorenen Seelen war, denen er allzu oft begegnete -Menschen, die im Leben von keinem geliebt und im Tod von keinem betrauert wurden -, dann suchte er nur umso eindringlicher nach Antworten.
    Doch egal, wie oft es ihm so erging, Antworten fand er nie. Er wusste nicht, was er glauben, zu welchem Schluss er kommen sollte. Aber in diesen düsteren, alkoholisierten Nächten stellte er sich oft vor, dass die Toten zu ihm riefen. Ihn baten, sich für sie einzusetzen, ihren Tod zu rächen und ihren Familien Frieden zu bringen. Am nächsten Tag würde er wieder nüchtern sein und mit seinem Leben und seiner Arbeit fortfahren. Dann hakte er solche Momente als alkoholbedingte dunkle Fantasien ab. Oft genug klärte er das Verbrechen auf, fasste den Mörder. Und die Geister in seinem Kopf verschwanden.
    Aber er konnte sich nie ganz sicher sein. Denn sobald der nächste Mord geschah, kehrten sie, ihre Reihen um ein weiteres Mitglied verstärkt, zurück.
    Und nun also Clayton. Zusammen mit den vier schwangeren Frauen würde er ihn morgens um drei heimsuchen und ihn anflehen, Vergeltung an seinem Mörder zu üben.
    Phil schüttelte den Kopf, dann schlug er die Augen auf. Er musste nachdenken. Wieder und wieder ließ er den Lauf der Ermittlungen in seinem Kopf Revue passieren. Analysierte jedes Wort Claytons, jeden seiner Blicke, um darin einen Hinweis darauf zu entdecken, was hier vorging. Doch er fand nichts.
    Es kam ihm vor, als habe jemand einen Stein an sein Herz gebunden und es dann in den Fluss geworfen. Dort sank es unaufhaltsam dem Grund entgegen. Schon legten sich die vertrauten Eisenbänder um seine Brust wie eine unsichtbare Würgeschlange, die in seinem Körper hauste und ihn von Zeit zu Zeit daran erinnern wollte, dass sie noch da war.
    Sein Atem beschleunigte sich, sein Puls ging schneller. Er hielt es nicht mehr aus. Er brauchte Ruhe. Er musste weg von hier. Er brauchte ...
    Marina.
    Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz, der in einen Baumstamm einschlägt. Es war so einfach. Es war so kompliziert. Marina.
    Der Gedanke gab ihm genügend Kraft, um über den Parkplatz ins Gebäude zu gehen. Sein Weg führte ihn direkt in die Bar. Als er eintrat, spürte er alle Blicke auf sich. Unausgesprochene Fragen schlugen ihm entgegen, aber auch Anteilnahme und Zuspruch. Er wusste, dass jeder einzelne seiner Kollegen gern zu ihm gekommen wäre, aber er wusste auch, dass keiner den Mut dazu aufbrachte.
    Irgendwann wandten sie sich ab und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Sie warteten auf etwas. Er musste etwas sagen.
    »Hören Sie«, begann er und stand ganz still da, »alle bitte.« Er wartete, bis er die Aufmerksamkeit des ganzen Teams hatte. Holte tief Luft und ignorierte die Enge in seiner Brust. »Also. Wir alle wissen, was passiert ist. Claytons Tod ist ein schwerer Schlag, einer der schwersten, den wir je zu verkraften hatten. Aber wir haben die Person, die dafür verantwortlich ist, gefasst. Das ist ein Anfang. Und gemeinsam werden wir auch den übrigen Fall zu einem befriedigenden Abschluss bringen. Clayton war ein guter Polizist. Für viele von Ihnen war er ein Freund. Auch für mich, und er wird mir fehlen.« Er holte tief Luft und fuhr fort. »Aber wir haben einen Job zu erledigen. Also lassen Sie uns weitermachen. Danke.«
    Er setzte sich.
    Schweigen.
    Einer fing an zu klatschen. Dann ein zweiter. Und noch einer. Bis schließlich das gesamte Team applaudierte. Phil blinzelte ein paar Tränen der Rührung weg. »Los, zurück an die Arbeit«, sagte er.
    Mit neuem Mut machten sie sich ans Werk.
    Auch Phil ging an die Arbeit, setzte

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