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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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alles.
    »Igitt...«
    Sie war wie gelähmt. Sie hielt den Lappen schon in der Hand, wollte aber mit dem, was sie da sah, auf keinen Fall in Berührung kommen. Wäre doch bloß ihr Mann da gewesen, um ihr zu helfen. Nein. Sie wusste genau, dass er keinen Finger gerührt hätte.
    Auf Babys aufpassen ist Frauenarbeit,
hatte er gesagt.
Das ist nichts für Männer. Ich kann dir gerne eins besorgen, aber drum kümmern wirst du dich gefälligst selbst.
    Sie hatte das akzeptiert. Also musste sie jetzt allein klarkommen.
    Sie nahm den Lappen und begann, am Hintern des Babys herumzuwischen. Dabei hielt sie die ganze Zeit die Luft an. Irgendwann hatte sie es geschafft und warf den Lappen auf den Berg schmutziger Decken am Boden. Dann holte sie das Päckchen Feuchttücher, das bei den Windeln mit dabei gewesen war. Wenn sie damit abgewischt wurden, lachten die Babys immer. Sie wischte. Aber ihr Baby lachte nicht. Es lächelte nicht mal. Aber schreien tat es auch nicht, und das war immerhin etwas. Sie wischte noch ein bisschen. Schon besser. Es musste ja sauber werden. Schließlich warf sie das Tuch zu dem Waschlappen und den Decken und betrachtete den vor ihr liegenden nackten Säugling.
    Er hatte einen Zipfel. Klein und verschrumpelt, aber mit einem ziemlich großen Sack darunter. Es war ein Junge.
    »Oh.«
    Sie streckte die Hand aus und nahm den Zipfel zwischen ihre großen, dicken Finger. Winzig. Sie spürte, wie Traurigkeit in ihr hochstieg. Ein Kribbeln irgendwo in ihrem Körper. Die Traurigkeit wurde größer.
    Nein. Das alles lag in der Vergangenheit. Sie war, was sie war. Sie war Hester. Sie war eine Ehefrau und Mutter. Sie war glücklich. Glücklich.
    Sie ließ den Zipfel los und machte sich daran, dem Baby eine Windel anzulegen. So schwierig konnte das ja nicht sein. Sie studierte die Bilder auf der Packung und versuchte, es genau so zu machen. Währenddessen dachte sie nach. Über den kleinen Zipfel des Babys. Hoffentlich war ihr Mann mit einem Jungen zufrieden. Eigentlich müsste er zufrieden sein. Väter wollten doch immer Söhne, oder? Und wieder durchfuhr sie Traurigkeit. Die meisten Väter jedenfalls. Manche wollten auch Mädchen. Manche machten ihre Söhne zu Mädchen.
    Erneut betrachtete sie das Baby, während sie seinen Zipfel in der Windel verschwinden ließ. Sie lächelte.
    »Wir zwei können nur hoffen, dass er einen kleinen Sohn möchte«, säuselte sie. »Sonst schneidet er dir dein Ding schneller ab, als du ...« Sie dachte nach. Da war eine Redewendung, die sie benutzen wollte, aber sie fiel ihr nicht ein. »Jedenfalls ganz schnell.«
    Danach zog sie dem Baby noch einen Strampler über.
    »So. Jetzt siehst du schick aus, was?«
    Es lag bloß da und strampelte ein bisschen mit den Beinen. Die Augen hatte es immer noch fest zugekniffen. Aber wenigstens schrie es nicht.
    Hester sah auf die Uhr. Ihr Mann war vor einiger Zeit gekommen und gleich wieder gegangen. Er müsste bald zurück sein. Normalerweise konnte sie es immer spüren, wenn er nach Hause kam. In der Zwischenzeit konnte sie das Baby füttern.
    Sie trat zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Milch heraus. Sie wusste natürlich, dass das Baby nicht an ihrer Brust trinken konnte, schließlich war sie nicht dumm. Also hatte ihr Mann Milch aus dem Laden besorgt. Mit vollem Fettanteil. Sie hatte gelesen, dass Babys spezielle Milch aus Pulver bekommen sollten und Aufbaupräparate, falls sie sehr klein waren. Aber Hester wusste nicht, was das war. Außerdem klang das mit dem Milchpulver in ihren Ohren nicht gut. Echte Milch war besser. Von einer Kuh. Und mit vollem Fettgehalt, darin waren bestimmt schon alle Aufbaustoffe und so weiter enthalten. Alles, was das Baby brauchte. Hester war verantwortungsbewusst. Sie hatte nämlich gelesen, dass Kinder keine Diätprodukte zu essen bekommen sollten. Cola light war in Ordnung, sobald es etwas älter war, in ein paar Monaten vielleicht, aber jetzt noch nicht. Das wusste sie. Sie war schließlich nicht dumm.
    Sie spritzte sich etwas von der Milch in den Mund. Kalt. Zu kalt. Sie stellte das Fläschchen in die Mikrowelle, und während sie darauf wartete, dass die Milch heiß wurde, musterte sie noch einmal eingehend das Baby. Es lag auf der Werkbank und strampelte. Sie lächelte. Wenn es nicht schrie, gefiel es ihr. Genau so hatte sie es sich vorgestellt.
    Die Mikrowelle machte »Ping«. Hester holte das Fläschchen heraus und spritzte sich wieder ein paar Tropfen in den Mund. Ziemlich heiß. Aber vielleicht war

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