Entrissen
inzwischen die Autopsieberichte von Nick Lines vorliegen.«
Er berichtete ihnen von der Mordwaffe, der Droge und der vermuteten Statur des Mörders.
»Dieser Ryan Brotherton gefällt mir immer besser«, merkte Fenwick an.
Phil erwiderte nichts darauf. »Aber Lines hat auch gesagt, dass wir nur ein kleines Zeitfenster haben, um das Baby noch lebend zu finden. Falls es nicht die richtige Pflege bekommt, bleiben uns nur noch Stunden. Im Höchstfall ein Tag.«
Es herrschte Schweigen, während sein Team diese Worte verdaute.
Phil wandte sich um. »Adrian, Jane. Gibt es schon Videoauf Zeichnungen? Was hat die Befragung der Nachbarn ergeben?«
»Was die Überwachungsvideos angeht, haben wir noch nichts«, meldete DS Jane Gosling, »aber wir rechnen damit, dass wir die Bänder morgen bekommen. Wir haben uns potentielle Sexualverbrecher in der näheren Umgebung angesehen -alle, die irgendwann mal durch ein Verhalten auffällig geworden sind, das auf den Fall passen könnte. Ohne Ergebnis. Aber eine winzige Spur haben wir doch. Mehrere Bewohner des Blocks haben zu Protokoll gegeben, gestern Abend eine große Person mit Mantel und Hut in der Nähe des Gebäudes gesehen zu haben. Allerdings nicht mehr nach dem voraussichtlichen Todeszeitpunkt.«
»Brotherton?«, fragte Anni.
»Könnte doch sein«, meinte Fenwick. In seinen Augen lag das Funkeln des Jägers, der eine Fährte entdeckt hat.
»So weit, so gut«, meinte Phil. »Ich denke, wir können davon ausgehen, dass die Tat begangen wurde, um an Claire Fieldings Baby zu kommen. Julie Simpsons Ehemann wurde vernommen, und auch wenn wir noch nicht hundertprozentig sicher sein können, sieht es so aus, als sei sie lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.«
»Claire auch«, warf Anni leise ein.
»So könnte man es sehen. Wenn Claire selbst das Ziel war. Falls es sich allerdings um dieselbe Person handelt, die Lisa King und Susie Evans ermordet hat, dann wäre es möglich, dass sie es in erster Linie auf das Baby abgesehen hatte. Aber auch das würde Brotherton nicht zwangsläufig ausschließen.«
»Wie ist Ihre Meinung, Phil?«, wollte Fenwick wissen. »Was sagt Ihr Bauchgefühl? Ist er unser Mann?«
Phil runzelte die Stirn. »Wenn es bloß um diesen einen Vorfall ginge, diese zwei Morde von heute, dann würde ich sagen, ja. In neun von zehn Fällen ist der Ehemann oder Partner der Täter. Aber da wir noch die anderen beiden Morde haben ...« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er hat uns angelogen, aber das reicht nicht aus. Wir brauchen etwas Konkreteres. Wir müssen irgendeine Verbindung finden.«
»Wir müssen das Baby finden«, warf Anni ein.
»Dann laden wir ihn vor«, rief Fenwick, ballte die Hände zu Fäusten und löste sie wieder. »Wir stecken ihn in die Verhörzelle und nehmen ihn ein bisschen in die Mangel. Mal schauen, was er uns dann zu erzählen hat.«
Im Raum nickten alle zustimmend.
»Schön«, sagte Fenwick und stand voller Tatendrang auf. »Das ist doch schon mal ein Plan. Das nehmen Sie sich gleich für morgen früh vor, Phil. Bringen Sie ihn zum Reden. Was sage ich, zum Singen.«
Noch mehr Kopfnicken, mehr Zustimmung. Das Team hatte neue Energie geschöpft. Endlich gab es eine Spur.
Eine Stimme riss sie aus ihrer Euphorie.
»Da wäre noch eine Möglichkeit, die Sie nicht in Betracht gezogen haben.«
Alle Köpfe wandten sich Marina zu. Sie sah von ihrem Notizblock auf und wartete, bis sie die Aufmerksamkeit der ganzen Runde hatte.
»Und das wäre?«, fragte Fenwick, den die Unterbrechung sichtlich irritierte.
»Dass er es nicht war.«
20
»Hör auf, hör auf, hör auf ...!«
Die Hände auf die Ohren gepresst, die Augen fest zugekniffen, rannte Hester im Zimmer hin und her und schüttelte wild den Kopf. Es nützte alles nichts. Das Geschrei des Babys ließ sich nicht ausblenden. Sie presste die Hände noch fester auf die Ohren und begann zu schreien.
»La, la, la, ich hör nicht zu ... nein, nein, nein, ich kann dich gar nicht hören ...!«
Schließlich brüllte sie aus vollem Halse, stampfte immer heftiger mit den Füßen auf und rannte von einer Ecke des Zimmers in die andere, um ihre hilflose Wut loszuwerden.
»La, la, la ...« Sie schrie aus Leibeskräften.
Aber es half nichts. Sie konnte das Baby immer noch hören, egal wie laut sie dagegen anbrüllte.
Abrupt blieb sie stehen und wandte sich zu dem Baby um -das Ding, das ihr so viel Freude und Glück hätte schenken sollen und das in
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