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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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auch ständig wiederholen. Die Berührung darf eben nur nicht länger dauern als den Bruchteil einer Sekunde. Sonst drehe ich durch. Wenn ich Menschen berühre, wirkt das, als ob ich sie zum Morsen nutzte. Gebe ich jemandem die Hand, zuckt sie sofort nach der Kontaktaufnahme wieder zurück, dann wieder hin, wieder weg, wieder hin, wieder weg usw. In einer atemraubenden Geschwindigkeit. Wenn ich jemanden umarme, stoße ich ihn gleich wieder weg, umarme ihn wieder, stoße ihn wieder weg. Wahnsinnig schnell, wie die Flügelschläge eines Kolibris, zu schnell für das menschliche Auge. Zungenküsse habe ich nie probiert. Mein Wackelkontakt begann bereits als Baby. Statt dauerhaft an den Brüsten meiner Mutter zu saugen, konnte ich immer nur einen winzig kleinen Schluck nehmen, setzte dann ab, nahm wieder einen winzig kleinen Schluck, setzte ab, nahm wieder einen winzig kleinen Schluck …. Einen Vorteil hat das kindliche Schnellsaugen aber gebracht: Ich bin Deutschlands schnellster Gefühlsaufnehmer. Wer nie einen Menschen länger als einen Sekundenbruchteil berührt hat, lernt im Laufe der Zeit, diesen kurzen Augenblick für höchst intensive emotionale Aufnahme zu nutzen. Aus einer blitzschnellen Umarmung gewinne ich mehr Zärtlichkeit als ein vergleichbarer Jammerlappen bei einem dreistündigen Gruppenkuscheln.
    Meine beiden anderen Störungen widersprechen sich sogar, was sie besonders unangenehm macht: Ich bin Hinstellomane, aber auch Kleptopede. Als Hinstellomane stehle ich nicht wie ein Kleptomane Waren aus dem Supermarkt, sondern bringe sie von zu Hause mit und platziere sie heimlich im Verkaufsregal. Dann bin ich total erregt. Einmal wäre ich fast von einem Kaufhausdetektiv erwischt worden, als er mich beim Betreten des Marktes aufhielt und fragte, was ich da unter meiner Jacke hätte.«
    »Nichts«, log ich.
    »Aha. Und was ist das?«, insistierte er und zog ein Glas Gurken unter meinem Mantel hervor.
    »Interessant, dass Sie fragen. Ein Glas Gurken.«
    »Und was hast du damit vor?«
    Ich pfiff unschuldig, aber auf diesen brillanten Trick fiel er nicht rein.
    »Weißt du, was ich glaube?«, fragte er und bohrte mir einen Finger in die Brust. »Du hast die Gurken von zu Hause mitgebracht und willst sie heimlich ins Regal stellen.«
    »Will ich nicht.«
    »Willst du doch, du krankes Schwein.« In diesem Augenblick brach ich ob des psychischen Drucks zusammen:
    » OK , Herr Detektiv. Ich geb’s zu. Ich kann Ihren unmenschlichen Verhörmethoden nicht länger standhalten. Ja, ich bin Kleptopede. Darf ich wenigstens noch erfahren, wie Sie auf mich aufmerksam geworden sind?«
    »Das Klopapier, das du letzte Woche eingeschleust hast, war benutzt.«

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    Fällt aus.

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    Auch.

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    Auch mit meiner Kleptopedie stoße ich oft auf Irritationen. Um diese Krankheit zu beschreiben, muss ich etwas weiter ausholen: Nach einer Phase als Hinstellomane war ich eine Zeitlang Kleptomane. Schnell hatte ich ein gewisses Geschick darin entwickelt, Gegenstände mitgehen zu lassen. Ich stand zum Beispiel an der Wursttheke, sagte zum Metzger »Oh, gucken Sie mal! Hinter Ihnen!«, und wenn er sich verblüfft umdrehte, klaute ich ihm eine Handvoll Hack aus der Ablage. Drehte er sich wieder zu mir zurück, bevor ich das Hack in meine Tasche stecken konnte, behauptete ich geistesgegenwärtig, ich würde gerade meine Hände darin baden. »In Hack?«, fragte der Metzger überrascht. Und ich antwortete »Nein, äh, in … äh … Ja doch, in Hack.« Doch meine Meisterschaft langweilte mich schnell, bald fehlte mir der Kick, und ich suchte mir eine neue Herausforderung: die Kleptopedie. Fortan stahl ich mit den Füßen. Mit den Händen stehlen ist schließlich keine Kunst, die wahre Meisterschaft zeigt sich beim Fußstehlen. Besonders wenn man sich der ultimativen Herausforderung stellt: Produkte ganz oben im Regal. In diesem Fall setze ich entweder zu einem Handstand an und füßele geschickt im Regal herum, bis ich der Ware habhaft werde. Oder ich reiße mein Bein sehr hoch, fliege wie ein Fußballer beim Fallrückzieher durch den Supermarkt und hoffe, in dem äußerst schmalen Zeitfenster, in dem sich mein Fuß unmittelbar neben dem Produkt befindet, mit geschickt greifenden Zehen das Objekt der Begierde zu erwischen. Als Kleptopede ist mit »heimlich stehlen« nicht viel. Bei den Kaufhausdetektiven bin ich bekannt wie ein bunter Hund, mittlerweile ergreifen sie mich meist schon, sobald ich den Laden auch nur betrete. Meine Maske erweist

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