Entschuldigen Sie Meine Stoerung
mit einer Mischung aus Verdattert- und Verdutztsein aus der Wäsche. Man merke sich folgende Faustregel: Hat es einen Rüssel, ist es meist kein Ressentiment.
Verstehen sich Fernbleiber untereinander recht gut, kommt es mit Gerndabeiseiern immer wieder zu Reibereien. Letztere erkennt man daran, dass sie von Fernbleibern immer wieder aufgeregt fordern ›Entschuldige dich gefälligst‹, nachdem sie wieder einmal mehrere Stunden an einem unwirtlichen Ort auf den Fernbleiber warten mussten.
Als großer Genuss erweisen sich Verabredungen dagegen unter Fernbleibern. Man bestellt einen Tisch für zwanzig Uhr, beide gehen nicht hin und berauschen sich daran am nächsten Tag bei einem Telefonat. Dennoch: Es ist schöner, jemanden zu versetzen, der kein Fernbleiber ist. Sich vorzustellen, wie er da in der Kälte auf einen wartet: ausgesprochen amüsant.
Nun hat das Erlernen der zutiefst beglückenden Fähigkeit Fernbleiben allerdings seine Tücken. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, sie könnten sich das Fernbleiben selbst beibringen. Am Ende sitzen sie dann doch um die verabredete Zeit beim Italiener – aus Pflichtgefühl, diesem Teufel unter den Empfindungen. Es bleibt das dumme Gefühl, versagt zu haben. Oft sind die Betroffenen so frustriert, dass sie dem Fernbleiben für alle Zeiten abhanden kommen. Andere Fernbleibewillige, die wissen, dass sie noch einen Rest Pflichtgefühl und Anstand in sich haben, ketten sich vor einer Verabredung zu Hause an einem Heizkörper fest und werfen den Schlüssel aus dem Fenster. Dadurch bleiben sie der Verabredung zwar tatsächlich fern, doch verhungern sie mitunter schon mal. Einerseits ärgerlich; andererseits ist der Tod immer noch der erfolgversprechendste Weg, wirklich fernzubleiben. Und auch der einzige Grund, die Gerndabeiseier zu akzeptieren, wenn sie von einem Fernbleiber versetzt werden. Deshalb mein Tipp: Fordert Sie jemand auf, sich für Ihr Fernbleiben zu entschuldigen, machen Sie ihm klar, dass Sie tot sind. Achten Sie dabei jedoch auf das ›Wie‹: Im direkten Gespräch neigen viele Menschen dazu, Ihnen nicht zu glauben. Schreiben Sie lieber einen Abschiedsbrief an den zu Versetzenden, in dem Sie Ihren Selbstmord verkünden, und senden Sie ihn ab. Gehen diese Zeilen dem Versetzten am Tag nach der Verabredung zu, ernten Sie alles Verständnis der Welt.«
Applaus brandet auf. Ich blicke stolz ins Auditorium. In der Tat: Die Klinik hat mich bereits verändert.
»Äh, ja, danke. Dann, ähm, kommen wir zum zweiten Punkt«, ringt Dr. Möbius um Worte. »Uns sind Beschwerden zu Ohren gekommen, die darauf hinweisen, dass sich ein blinder Patient in der Klinik versteckt. Blind im Sinne von illegal. Diese Beschwerden haben wir zunächst ignoriert, weil sie von Vollidioten wie Frau Kautge kamen, aber gestern beim Abendessen hat das Küchenpersonal eine schaurige Entdeckung gemacht: Statt sechzig Tellern wurden einundsechzig in die Spülmaschine geräumt.«
Das Auditorium schreit erschrocken auf. Aufgeregtes Stimmengewirr. Einer übergibt sich sogar. Nämlich ich.
»Natürlich wurde sofort die Klinikleitung benachrichtigt, und wir haben die ganze Nacht damit zugebracht, die Teller wieder und wieder durchzuzählen. Wir kamen jedes Mal auf einundsechzig. Auch die Polizei, die wir natürlich sofort eingeschaltet haben, kam auf einundsechzig Teller. Da fragen wir uns jetzt natürlich: hä?«
Wieder hebt die Patientenschar zu einem Tuscheln und Raunen an. »Ruhe bitte, sonst lasse ich den Saal räumen.« Der Lärm wird lauter. Man sollte einer Horde Patienten mit Menschenangst, die sich nach dem Ende einer Versammlung sehnt, nicht die Chance geben, mit noch mehr Lärm die Versammlung aufzulösen.
Dr. Möbius korrigiert sich prompt: »Äh, wenn Sie weiter so laut sind, lasse ich Sie an die Elektroschockanlage anschließen.«
Mucksmäuschenstille. Zufrieden lässt Dr. Möbius seinen Blick über das Publikum streifen.
»Wir gehen deshalb davon aus, dass sich in der Klinik ein Patient befindet, der hier nichts zu suchen hat. Ich bitte Sie deshalb: Falls Ihnen irgendetwas verdächtig vorkommt, geben Sie sofort der Klinikleitung Bescheid. Noch Fragen?«
Eine Dame meldet sich: »Wäre es nicht einfacher, wenn Sie die Namen aller gemeldeten Patienten vorlesen und dann den rauswerfen würden, der nicht genannt wurde?«
»Sie sind wohl eine ganz Kluge, was?«, fragt Dr. Möbius verärgert.
»Na ja …«, entgegnet sie kleinlaut.
»Ich denke darüber nach.«
» OK «,
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