Entschuldigen Sie Meine Stoerung
akzeptiert die Patientin.
»Frau Paschalla«, rügt sie der Arzt. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen sich nicht immer gleich mit jeder Antwort zufriedengeben?«
»Aber das tue ich doch auch nicht. Ich finde nur, dass das ein guter Vorschlag von Ihnen war. Dass Sie darüber nachdenken möchten. Damit kann ich mich abfinden.« Sie klingt noch verängstigter.
»Das sollen Sie aber nicht!«, fährt Dr. Möbius sie an. »Sie sollen sich nicht immer abfinden. Kapieren Sie das nicht?«
»Ich soll mich auch nicht mit sinnvollen Vorschlägen abfinden?«
»Nicht in Ihrem Zustand. Als könnten Sie beurteilen, ob ein Vorschlag sinnvoll ist oder nicht. Tun Sie mir einfach den Gefallen: Finden Sie sich nicht ab.«
»Na gut.« Sie räuspert sich, nimmt allen Mut zusammen und sagt entschlossen: »Das akzeptiere ich nicht, Herr Doktor. Sie entscheiden das bitte jetzt sofort.« Dann sieht sie den Arzt erwartungsvoll an.
»Tobias«, fordert Dr. Möbius seinen Mitarbeiter auf, »schließen Sie das renitente Stück an die Elektroschockanlage an.«
»Aber Sie haben doch selbst gesagt …«, wimmert Frau Paschalla.
»Sie hätten sich mir eben widersetzen müssen.« Dann wendet er sich wieder an das Auditorium: »Noch Fragen?«
Niemand hat mehr Fragen.
Tag ?
Die aktuelle Entwicklung macht mir Sorgen. Die Klinikleitung hat Verdacht geschöpft, sie ahnt, dass etwas nicht stimmt. Ich muss schnell etwas unternehmen, sonst fliege ich auf. Nur was? Ich erinnere mich an einen Spruch, den meine Mutter einst in mein Poesiealbum schrieb, bevor sie es aufaß: »Wenn Du nicht weiter weißt – töte!«
Soll ich Frau Kautge tatsächlich aus dem Leben befördern, um meinen Platz in der Klinik zu behalten? Immerhin stammt der Tipp von meiner Mutter. Aber sollte ich bei einer so weitreichenden Entscheidung nicht eine zweite Meinung einholen? Zum Beispiel die von Frau Kautges Mutter?
Das Zimmer ist verschlossen. Dabei habe ich mich nach der Versammlung so beeilt, um es vor meiner Mitbewohnerin zu erreichen. Leider haben wir nur einen Schlüssel, und den führt sie bei sich. Auch so ein Problem: was ich an wertvoller Lebenszeit mit Warten auf Frau Kautge verplempere. Immer intensiver muss ich an die Worte meiner Mutter denken. Die Frage stellt sich immer dringlicher: Frau Kautge oder ich? Es kann nur einer überleben.
»Guten Tag«, höre ich Frau Kautge sagen. Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass sie ebenfalls unser Zimmer erreicht hat. »Hat es einen Grund, dass Sie vor meinem Zimmer stehen?«, fragt sie mich verunsichert.
»Lassen Sie sich durch mich nicht stören«, beruhige ich sie. »Ich schaue einfach gern Menschen beim Türaufschließen zu. Hobby von mir. Ich bin Alltagsverrichtungen-Spanner. Ich mag den Thrill: Bekommt sie die Tür auf? Bekommt sie die Tür nicht auf?«
Mein Lächeln soll sagen: Keine Angst, ich bin harmlos. Offensichtlich nimmt sie mir meine Geschichte ab, denn sie fragt interessiert: »Ist das nicht sehr langweilig?«
»Überhaupt nicht!«, wehre ich gespielt entrüstet ab. »Angeln ist deutlich langweiliger.«
»Öffnen Menschen nicht meistens recht mühelos ihre Türen?«, hakt sie nach.
»Vielleicht in Ihrer Welt. Ich hingegen habe mir vor kurzem eine Flatrate beim Schlüsseldienst zugelegt, weil ich es alleine so gut wie nie in die Wohnung schaffe.«
»Wenn ich meine Zimmertür öffne, stoßen Sie mich aber nicht hinein und vergewaltigen mich?«, fragt sie ängstlich.
»I wo. Sehen Sie aus, als würde Sie jemand vergewaltigen?«
»Und Sie sind auch kein Patient, der seinen täglichen Obstkorb schon aufgegessen hat und sich jetzt meinen unter den Nagel reißen möchte?«
»Sie glauben im Ernst, ich will Ihren Obstkorb stehlen?«
»Finden Sie das albern?«
»Wenn ich im Laufe meines Lebens etwas gelernt habe, dann das: Keine Angst ist so albern, als dass sie nicht irgendein Mensch haben könnte.«
»Vielleicht sollte ich mit dem Therapeuten einmal über mein Misstrauen gegenüber anderen Patienten reden?«
»Jetzt schließen Sie endlich die Tür auf. Ich halte es vor Spannung kaum aus.« Um die Behauptung zu unterstreichen, kaue ich nervös an meinen Fingernägeln.
»Oh, ja, natürlich. Entschuldigen Sie.«
Die Dame schließt die Tür auf und wirft mir einen stolzen Blick über ihre Schulter zu. Ich atme übertrieben erleichtert auf, als hätte sich gerade ein Hollywood-Held aus einer brenzligen Situation befreit. Sie betritt das Zimmer, und als sie die Tür
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