ENTSEELT
vierhundert Meter über dem Geröll am Fuß der steilen Felswände in die Luft hinausragte. Sogar der Nachtwind ließ sich von Janos’ Toben mitreißen: Er pfiff unbarmherzig über den Felsen und drohte die drei in den Abgrund zu reißen.
»Ruhe!«, herrschte der Vampir die erregten Elemente an. »Schweigt!« Und als der Wind nachließ und die Wolken wie verängstigte Rehe vor dem Mond vorbeihuschten, wandte sich das rasende Monster seinen Sklaven zu.
»Du.« Er zog Layard zu sich heran. Er ergriff ihn im Nacken, so wie eine Katzenmutter ihr Junges packt, und stieß ihn der steil abfallenden Klippe entgegen. »Ich habe dir schon einmal deine Knochen gebrochen. Muss ich das noch einmal tun? Sag es mir jetzt: Wo ist er? Wo – ist – Harry – Keogh?«
Layard zappelte in seinem Griff und deutete nach Nordwest. »Da war er, ich schwöre es! Nicht mehr als hundert Kilometer weit weg, noch vor einer Stunde. Ich habe ihn da gespürt. Er war stark, seine Aura strahlte fast so hell wie ein Leuchtsignal. Aber jetzt ist da nichts mehr.«
»Nichts?«, zischte Janos und drehte Layards Gesicht zu sich hin. »Bin ich denn ein Trottel? Du warst ein talentierter Mensch, ein guter Lokalisierer, aber als Vampir sind deine Fähigkeiten um ein Vielfaches verstärkt. Wenn ihn jemand finden kann, dann bist du das. Wie kannst du mir jetzt erzählen, du hättest ihn verloren? Wie kann er da und dann plötzlich nicht mehr da sein? Kommt er näher, selbst jetzt in der Nacht? Ist er auf dem Weg hierher? Sprich!« Er schüttelte sein Opfer wie eine kraftlose Puppe.
»Er war da!«, japste Layard. »Ich habe ihn gespürt. Er war allein, und er bewegte sich nicht. Wahrscheinlich war er über Nacht irgendwo eingekehrt. Ich weiß, dass er da war. Ich habe ihn aufgespürt, bin über ihn hinweggestrichen und auch wieder zurück, aber ich habe es nicht gewagt, mich länger aufzuhalten, damit er mich nicht hierher zurückverfolgen konnte. Frag doch das Mädchen. Sie wird bestätigen, dass ich die Wahrheit sage!«
»Ihr – habt – euch – gegen – mich – verbündet!« Janos warf ihn auf die Knie, dann griff er nach Sandras leichtem Kleid und riss es ihr vom Leib. Sie versuchte instinktiv, unter dem bleichen Mond ihre Blöße zu bedecken. Aber einen Augenblick später richtete sie sich wieder auf. Janos hatte ihr bereits das Schlimmste angetan; wenn man erst vor Entsetzen betäubt ist, spürt das Fleisch nichts mehr.
»Er sagt die Wahrheit«, sagte sie. »Ich konnte nicht in den Geist des Necroscopen eindringen, weil er sonst in meinen eingedrungen wäre, und durch meinen in den deinen. Aber als ich fühlte, dass er schlief, glaubte ich, einen Blick riskieren zu können. Ich versuchte es ... aber er war nicht mehr da. Oder wenn er da war, dann war sein Verstand nicht mehr zugänglich.«
Janos starrte sie lange an; sein purpurner Blick lag auf ihr und brannte sich in sie hinein, bis er sich sicher war, dass sie die reine Wahrheit gesagt hatte.
Schließlich gab er auf. »Er kommt also«, knurrte er. »Nun, das war es ja auch, was ich wollte.«
»Wollte?« Sandra lächelte ihn vielleicht ein wenig zu wissend an. »Die Vergangenheitsform? Gilt das nicht mehr, Janos?«
Er funkelte sie wütend an, packte ihre Schulter und zwang sie neben Layard auf die Knie. Dann richtete er sein Gesicht gen Nordwest und hob die Arme der Nacht entgegen. »Ich lege mich wie ein Nebel auf die Täler«, intonierte er, »ich gebiete den Lungen der Erde, mir ihren Odem zu spenden und ihren Dunst in die Luft zu senden, um ihm den Weg zu verschleiern. Ich rufe meine Diener an, ihn zu finden und mir sein Handeln kundzutun, und ich gebiete den Felsen dieser Berge, sich ihm entgegenzustellen.«
»Und das soll ihn aufhalten?« Sandra musste sich anstrengen, ihren vampirischen Sarkasmus im Zaum zu halten.
Janos wandte ihr seine flammenden Augen zu, und sie sah, dass sein Schädel und seine Kiefer sich wolfsartig verlängert hatten. »Ich weiß es nicht«, antwortete er schließlich, und seine schreckliche Stimme schrillte über ihre blanken Nervenenden. »Aber wenn das ihn nicht aufhält, dann weiß ich jemanden, der das ganz bestimmt tun wird.«
Mit drei vampirischen Handlangern, die in seiner Abwesenheit auf das Gemäuer Acht gaben und seine Geheimnisse bewachten, stieg Janos in vergessene Gewölbe der Erde und der Albträume hinab, an einen alles andere als verlassenen Ort. Dort benutzte er seine nekromantischen Fähigkeiten, um eine thrakische Edelfrau aus ihrer
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