ENTSEELT
hinüber. »Und das da ist Randy Laverne aus Madison, Wisconsin. Da gibt es zwar nicht so viele Berge wie hier, aber du kannst mir glauben, es ist mindestens genauso kalt.«
»Kalt?«, meinte Gogosu. »Na, damit dürfte der aber keine Probleme haben. Ich beneide ihn um all das schöne Fleisch auf seinen Knochen und all die guten Mahlzeiten, bei denen er es sich angefuttert hat, aber beim Klettern ist das eher hinderlich. Ich dagegen kann mich wie Moos an die Felsen heften, sogar an Stellen, wo die Schwerkraft ihn ganz sicher runterziehen würde.«
Vulpe übersetzte und Laverne lachte herzlich. Er war der Jüngste und der Kleinste (oder wenigstens der Kürzeste) der drei Amerikaner: Er war fünfundzwanzig, sommersprossig, stark übergewichtig und immer hungrig. Über seinem runden Gesicht wogten dichte rote Locken. Seine grünen Augen blickten freundlich und immer fröhlich drein, und von den Winkeln seiner Augen und seines Mundes ging ein Gewirr von Lachfältchen aus. Aber nichts an ihm war verweichlicht, seine gewaltigen Hände waren unglaublich stark, ein Erbe eines Vaters, der Schmied gewesen war.
»Na also«, sagte George Vulpe, »damit kennen wir uns jetzt. Oder besser, du kennst uns. Aber was ist mir dir, Emil? Du bist ein Jäger, aber was sonst noch?«
»Sonst nichts!«, sagte Gogosu. »Was sollte ich denn sonst sein? Ich habe ein kleines Haus und eine noch kleinere Frau in Ilia; im Sommer jage ich Wildschweine und verkaufe das Fleisch an die Metzger und die Häute an die Schneider und Schuhmacher; im Winter gehe ich auf Pelzjagd, fange ein paar Füchse und dann und wann bezahlt man mich dafür, dass ich einen Wolf schieße. Und davon kann ich leben – gerade so eben. Und jetzt werde ich vielleicht noch Fremdenführer. Warum nicht? Schließlich kenne ich die Berge so gut wie die Adler, die darin nisten.«
»Und du kennst auch das eine oder andere verfallene Schloss? So etwas kannst du uns auch zeigen?«
»Schlösser, so viel ihr wollt«, sagte Gogosu. »Aber wie du schon sagtest, es gibt solche und solche Führer. Und es gibt eben auch solche und solche Schlösser. Ihr habt recht, jeder kann euch einen Haufen alter Steine zeigen und behaupten, das sei ein Schloss. Aber ich, Emil Gogosu, ich kann euch ein echtes Schloss zeigen!«
Die beiden Amerikaner Armstrong und Laverne verstanden ansatzweise, worum es ging, und wurden ganz aufgeregt. Armstrong sprach Vulpe mit seinem breiten texanischen Akzent an. »Los, George, sag ihm, was wir hier wirklich suchen. Erkläre ihm, wie nah er der Wahrheit gekommen ist, als er von Dracula und den Vampiren und so gesprochen hat.«
Vulpe wandte sich dem Jäger zu. »In Amerika, eigentlich sogar auf der ganzen Welt, sind Transsilvanien und die Karpaten berühmt! Nicht so sehr wegen ihrer überwältigenden Schönheit oder der kargen Abgeschiedenheit, als vielmehr wegen der Mythen und Legenden. Du hast von Dracula gesprochen, der seinen Ursprung in einem grausamen Vlad aus alter Zeit hat, aber hast du gewusst, dass jedes Jahr Tausende von Touristen herkommen, um sich das Heimatland des großen Dracula anzusehen und die Schlösser, in denen er angeblich gelebt hat? Das ist ein großes Geschäft. Und wir meinen, es könnte ein noch größeres Geschäft werden.«
»Pah!«, meinte Gogosu. »Dieses ganze Land quillt über von alten Geschichten und Aberglauben. Vlad der Pfähler ist nur eine davon.« Er lehnte sich zu ihnen hinüber, senkte die Stimme und riss die Augen weit auf. »Ich kann euch zu einem Schloss führen, das so alt ist wie die Berge selbst; eine zerfallene Festung, die so gefürchtet ist, dass sich selbst heute kaum jemand dorthin wagt und kein Pfad dahin führt. Die Mauern liegen da wie abgenagte Knochen im Mondlicht, verborgen im Windschatten zerklüfteter Felsen!« Er lehnte sich zurück und nickte zufrieden vor sich hin, als er in ihren Gesichtern las, welche Wirkung sein Vortrag auf sie hatte.
Nachdem Vulpe übersetzt hatte, stieß Randy Laverne ein atemloses »Wow!« hervor. Dann wurde er wieder vorsichtiger. »Glaubst du, da ist was dran?«
Der Jäger wusste, was er gefragt hatte. Er starrte direkt und verärgert in Lavernes weit aufgerissene Augen und befahl Vulpe: »Sag ihm, dass ich dem letzten Mann, der mich einen Lügner genannt hat, eine Schrotladung in den Arsch verpasst habe. Und du kannst ihm noch etwas sagen: In diesen uralten Ruinen, die ich kenne, wacht selbst heute noch ein großer grauer Wolf. Und das ist die Wahrheit, denn ich habe
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