ENTSEELT
ungewendet zu lassen, jeden Zufall so lange zu untersuchen, bis man eine Gesetzmäßigkeit findet und sieht, dass nichts ohne Grund passiert und alles einem Zweck dient. Es ist ein Synchronismus der Seele. Es ist das Faszinosum, auf das Unbekannte zu treffen und es zu etwas Bekanntem zu machen; der Erste zu sein, der den Zusammenhang findet.
Wissenschaftler untersuchen die fossilen Überreste eines Fisches, der seit sechzig Millionen Jahren ausgestorben sein soll, und kurze Zeit später entdecken sie, dass dieser Fisch immer noch in den Meerestiefen vor Madagaskar gefangen wird. Als sich die ersten Leute für das Leben des fiktiven Dracula zu interessieren begannen, waren sie erstaunt, als sie feststellten, dass es tatsächlich einen realen Vlad den Pfähler gegeben hat, und wollten mehr über ihn wissen. Wahrscheinlich wäre er sogar schon lange vergessen, wenn es da nicht einen Autor gegeben hätte, der ihn mit Absicht oder durch Zufall zu neuem Leben erweckt hat. Und jetzt wissen wir mehr über ihn als je zuvor.
Im sechsten Jahrhundert hat es in England vielleicht einen König Artus gegeben, vielleicht aber auch nicht – die Leute suchen heute noch nach Beweisen dafür! Und sie suchen danach mit unvermindertem Eifer. Und das, obwohl es sich vielleicht nur um eine Legende handelt.
Heute gibt es in Amerika, eigentlich auf der ganzen Welt, Gesellschaften, die sich nur damit beschäftigen, solche Rätsel zu lösen. Armstrong, Laverne und ich gehören zu so einer Organisation. Unsere Helden sind die alten Autoren von Horrorgeschichten, wie man sie heute einfach nicht mehr findet, Leute, die diesen Sinn für das Wunderbare hatten, und die versucht haben, ihn in ihren Büchern an andere weiterzugeben.
Und vor fünfzig Jahren hat ein amerikanischer Autor einen Horrorroman geschrieben. Darin hat er ein transsilvanisches Schloss erwähnt, das er das Schloss Ferenczy nannte. Dieser Geschichte zufolge wurde das Schloss durch übernatürliche Kräfte in den späten zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts zerstört. Meine Freunde und ich sind hierhergekommen, um nach diesen Trümmern zu suchen. Und jetzt kommst du und sagst, dass es diese Burg wirklich gibt und du uns zu den Ruinen führen kannst. Das ist ein hervorragendes Beispiel für die Art von Synchronismus, von der ich geredet habe.
Aber wenn man die Romantik im Blut hat ... na ja, dann ist es vielleicht mehr als nur das. Sicher, wir wissen, dass der Name Ferenczy hierzulande nicht eben selten ist. Es gibt da Quellen in der Vergangenheit; wir wissen, dass es in Ungarn, in der Walachei und in Moldawien Bojaren mit dem Namen Ferenczy gegeben hat. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, wie du sehen kannst. Aber dass wir dich gefunden haben – das ist schon ein Wunder. Und selbst wenn dieses Schloss nicht das ist, was wir erhoffen, dann ist es immer noch ein Wunder. Und die Geschichte, die wir unseren Vereinskameraden erzählen können, wenn wir wieder zu Hause sind ... ist das nicht toll?«
Gogosu kratzte sich am Kopf und sah ziemlich hilflos drein.
»Versteht du, was ich sagen wollte?«
»Kein bisschen«, gestand der alte Jäger.
Vulpe seufzte tief, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es war offenkundig, dass er seine Zeit verschwendet hatte. Außerdem hatte er in der letzten Nacht nicht gut geschlafen und hoffte, er könne jetzt ein wenig dösen. »Na ja, es ist auch nicht so wichtig«, murmelte er.
»Bestimmt nicht.« Gogosu war sehr energisch. »Romantik? Das ist vorbei für mich. Ich habe meinen Teil davon gehabt und bin fertig damit. Was denn? Langbeinige Mädchen mit wippenden Brüsten? Pah! Die können alle die bösartigen blutsaugenden Moroi in ihren düsteren Schlössern holen, wenn es nach mir geht!«
Vulpe begann gleichmäßig zu atmen. »Hmmmm ...«
»Häh?« Gogosu sah zu ihm hinüber. Aber der junge Amerikaner war schon eingeschlafen. Oder tat wenigstens so. Gogosu schnaubte und sah wieder weg.
Vulpe öffnete ein Auge einen Spalt und sah, wie der Jäger sich zurücklehnte. Da schloss er das Auge wieder, entspannte sich und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Nach kurzer Zeit war er wirklich eingeschlafen ...
Die Reise verging sehr schnell für George Vulpe. Die meiste Zeit nahm er seine Außenwelt gar nicht wahr, gefangen im Land seiner Träume, überwiegend seltsamer Träume, die vergessen waren, sobald er die Augen öffnete, an den wenigen Stellen, wo ihre Reise stockte. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto bizarrer wurden die Träume.
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