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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Sie waren surreal, wie es Träume meistens sind, und doch schienen sie auf seltsame Art real. Und das war umso merkwürdiger, weil sie nicht visuell, sondern rein akustisch waren.
    Vulpe hatte die Vorstellung entwickelt, das Land selbst spreche zu ihm, und auch in seinem schlafenden Verstand blieb diese Idee bestehen, nur dass es jetzt nicht mehr so sehr ganz Rumänien oder Transsilvanien war, das nach ihm rief, sondern ein bestimmter Ort, ein spezieller genius loci . Die Quelle dieser geistigen Anziehung war natürlich das Schloss, das Gogosu ihnen zeigen wollte und das jetzt über eine dunkle, gutturale und vielleicht auch erwartungsvolle Stimme zu verfügen schien:
    Ich weiß, du bist nah, Blut meines Blutes, Fleisch meines Fleisches, Kind meiner Kinder. Ich warte, wie ich in all den Jahrhunderten gewartet habe, eingepfercht zwischen den dräuenden Bergen. Aber jetzt leuchtet ein Licht in meiner Dunkelheit. Ein Vierteljahrhundert und mehr ist vergangen, seit diese Kerze aufgeflammt ist; das Licht ging auf, als du geboren wurdest, und es wurde stärker, je größer du wurdest. Aber dann ... Ich kenne die Verzweiflung. Die Kerze wurde fortgeschafft; das Licht wurde schwächer; er schwand zu einem fernen schwachen Schimmer und verglomm. Ich hielt die Flamme für erloschen! Aber vielleicht war sie ja nicht tatsächlich erloschen, sondern nur außerhalb meiner Reichweite? Und so habe ich meine Fühler nach dir ausgestreckt und habe dieses schwache Glühen in einem fernen Land gefunden – wenigstens glaubte ich das. Aber ich war mir nicht sicher, und so habe ich weiter gewartet.
    Ach! Es ist leicht zu warten, mein Sohn, wenn man tot und alle Hoffnung vergangen ist. Nun, man kann dann auch kaum etwas anderes tun! Aber es ist schwer, wenn man untot ist und gefangen zwischen dem pulsierenden Treiben der Lebenden und der leeren Stille eines gemiedenen und entehrten Grabes; wenn man weder zu der einen noch zu der anderen Welt gehört; wenn einem der Ruhm der eigenen Legende verwehrt ist; ja selbst der gebührende Platz in den Albträumen der Menschen ... Denn dann wird aus dem Geist eine Uhr, die langsam all die einsamen Stunden vertickt; und dann muss man lernen, das Pendel zu beherrschen, damit es nicht aus der Bahn gerät. Denn der Verstand ist fein ausbalanciert. Wenn man ihn sich selbst überlässt, gerät er bald aus seiner Bahn, und alles versinkt im Wahnsinn.
    Ja, ich habe diesen Schrecken gefühlt; die Angst, in meiner Einsamkeit verrückt zu werden und damit alle meine Hoffnungen auf Auferstehung und auf Leben, so wie ich es einst gekannt habe, zu verlieren.
    Oh! Habe ich dich erschreckt? Bemerke ich da ein Zurückweichen? Aber nein, das darf nicht sein! Ich bin dein Vorfahr, dein Großvater ... nein, ich bin dein wahrer Vater! Dasselbe Blut, das in deinen Adern pulsiert, durchströmte einst die meinen. Das ist der ewige Fluss des Lebens. Es gibt keinen Unterschied zwischen dir und mir, außer vielleicht den der Zeiten, die inzwischen vergangen sind! Wir sind fast gleich! Oh ja! Und wir werden – tatsächlich – Freunde – sein ...
    »Der Freund eines Ortes?« Vulpe murmelte im Schlaf. »Der Freund des Geistes eines Gebäudes?«
    Des Geistes eines ...? Ah! Ich verstehe! Du glaubst, ich sei ein Echo der Vergangenheit! Eine Seite aus dem Buch der Geschichte, die von feigen Männern aus der Überlieferung getilgt worden ist. Eine dunkle Rune, die ausgekratzt worden ist, die von den marmornen Menhiren der Legenden geschliffen wurde, weil sie nicht schön anzusehen war. Der Ferenczy ist Vergangenheit, und seine Knochen sind zerfallen; sein Geist durchwandert kraftlos die verfallenen Trümmer, die gewaltigen geschliffenen Mauern seines Schlosses. Der König ist tot, lang lebe der König! Pah! Du kannst dir nicht vorstellen, dass ich noch existiere, dass ich – überdauere! Dass ich schlafe, so wie du, und dass ich nur aufgeweckt werden muss!«
    »Du bist ein Traum«, sagte Vulpe. »Ich bin derjenige, der aufgeweckt werden muss.«
    Ein Traum? Oh ja! Sicherlich! Ein Traum, der seine Fühler über die ganze Welt hinweg ausgestreckt hat, um endlich dich zu erreichen. Ein machtvoller Traum, mein Sohn, der bald Wirklichkeit werden könnte, Gheorghe ...
    »Gheorghe!« Emil Gogosu stieß ihm heftig den Ellbogen zwischen die Rippen. »Wie kann man nur so viel schlafen?«
    »George!« Seth Armstrong und Randy Laverne schüttelten ihn schließlich wach. »Gott, du hast fast den ganzen Tag verschlafen!«
    »Was? Häh?« Vulpes

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