ENTSEELT
richten konnte, hatte Vulpe sich schon wieder erholt und sie ihm aus der Hand getreten.
Irgendwie gelang es Armstrong, sich aus seinem Schlafsack zu befreien, aber als er sich auf die Füße rappelte, spürte er etwas an seinem Gesicht kleben. Etwas, das sich bewegte. Und brüllend vor Lachen deutete das wahnsinnige Ding, das einmal George Vulpe gewesen war, auf ihn. Er zeigte auf sein Gesicht mit seiner deformierten linken Hand, wo von dem vierten Finger jetzt nur noch ein blutiger Stumpf übrig war.
Der Texaner hob die Hand und griff nach dem Finger auf seiner Wange, um ihn abzustreifen. Aber der hatte ein Eigenleben entwickelt und krabbelte höher, bis er den rechten Augenwinkel erreicht hatte. Armstrong stöhnte auf, als sich der Finger in die Augenhöhle bohrte, den Augapfel herausdrückte und in der Höhlung verschwand. Er krallte die Hände in sein Gesicht, schrie unkontrolliert und sprang herum wie ein Wahnsinniger; aber er kam nicht an das Ding heran, das sich wie ein außerirdischer Wurm in sein Gehirn bohrte. Und währenddessen hing sein Augapfel nur noch am Sehnerv auf die Wange herunter.
»Allmächtiger Jesus!« Er fiel auf die Knie und zerrte verzweifelt an der leeren Augenhöhle herum. »Oh allmächtiger Gott«, stöhnte er wieder, als er das lose heraushängende Auge abriss und das Vampirfleisch forschende Sonden in sein Gehirn vorschickte.
Auf Knien kroch er spastisch zuckend und blind dem Feuer entgegen und erstarrte dann plötzlich. Er würgte, wurde von einem Zucken geschüttelt und brach zusammen wie ein gefällter Baum.
Aber die Monstrosität in Vulpes Gestalt trat vor, ergriff seinen Kragen mit der unverletzten Hand, hob ihn hoch und warf ihn auf den Rücken. »Nicht doch, Seth!«, sagte die Kreatur. »Es reicht jetzt. Wenn du dich verbrennst, dann zieht sich deine Heilung hin. Und ich will so bald wie möglich weg von hier!«
»Geooorge!« Armstrong erstickte beinahe in dem Würgegriff.
»Nein, mein Freund, kein George mehr!« Das Monster grinste schrecklich. »Von jetzt ab wirst du mich Janos nennen!«
Mehr als fünfeinhalb Jahre später; der Balkon eines Hotels auf Rhodos, der auf den lauten, lebhaften Betrieb einer frühmorgendlichen Straße hinausführte, nur einen Steinwurf vom Hafen entfernt. Frische, salzige Luft wehte von der Türkei her über das Meer und verdünnte die Wolken blauer Abgase, die strengen Gerüche der Bäckereien, die vielfältigen Aromen der Frühstückscafés, der Müllabfuhr und der Menschheit im Allgemeinen, die in diesem Nervenzentrum des antiken griechischen Hafens weiter existierte.
Es war Mitte Mai im Jahre 1989, die Touristensaison hatte gerade sehr vielversprechend begonnen, und die Sonne war ein Feuerball, der noch nicht einmal ein Drittel seines Weges über die unbeschreiblich blaue Kuppel des Himmels hinter sich gebracht hatte. Man konnte den Himmel nicht mit einem Blick erfassen, sondern musste die Augen zu einem Spalt schließen, wodurch die Ränder wegfielen und die Dinge im Gesichtsfeld abgedämpft wurden. Jedenfalls meinte Trevor Jordan, das so machen zu müssen. Er hatte in der Nacht zuvor vielleicht einen oder zwei Metaxa zu viel in sich hineingeschüttet. Aber es war auch noch früh, erst kurz nach acht Uhr morgens, und er ging davon aus, dass es ihm bald wieder besser gehen werde. Er wusste aber auch, dass dann der Lärm der Stadt erheblich zugenommen haben würde.
Jordan hatte nur ein Ei und eine Scheibe Toast gefrühstückt und war bei seiner dritten Tasse Kaffee – britischem Instant-Kaffee und nicht die schwärzlich-braune Brühe, die die Griechen aus fingerhutgroßen Tassen schlürften. Er hoffte, die Flüssigkeit würde den Restalkohol in seinem Blut verdünnen. Metaxa hatte nun einmal den Nachteil, extrem billig und wirklich äußerst schmackhaft zu sein, wie er jetzt leidvoll rekapitulierte. Vor allem, wenn man sich dabei die Nonstop-Bauchtanz-Show in einem Schuppen wie der ›Blauen Lagune‹ in der Trianta-Bucht ansah.
Er stöhnte und befingerte zum fünften oder sechsten Mal innerhalb einer halben Stunde sacht seine Stirn. »Ich brauche eine Sonnenbrille«, sagte er zu dem Mann, der neben ihm saß und wie er selbst auch Pantoffeln und Morgenmantel trug. »Ich muss mir unbedingt eine besorgen. Verflucht, dieses grelle Licht versengt einem die Augen!«
»Da, nimm meine.« Ken Layard schob ihm grinsend eine billige Sonnenbrille mit Plastikrahmen über den winzigen Frühstückstisch. »Du kannst mir später eine neue
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