ENTSEELT
ihrer Flasche – der Widerstand deiner eigenen derangierten, verwirrten, entnervten Psyche – hört auf. Und du schläfst ein. Und möglicherweise rauben die Fremden dich dann bis aufs Hemd aus.
Bis aufs Hemd? Sie könnten dir auch die Unterhose nehmen, könnten dich sogar vergewaltigen, wenn ihnen danach ist, und du könntest sie nicht daran hindern, du würdest es nicht fühlen, nicht einmal vermuten.
Es war eine Neuauflage von Jordans ersten traumatischen Begegnungen mit dem Alkohol. Das war am Anfang seiner Studienzeit gewesen, als er Heimweh bekommen hatte – gerade er! Ein paar seiner Studienkollegen, Witzbolde, die sich auf seine Kosten amüsieren wollten, hatten ihn so richtig abgefüllt. Und dann hatten sie sich in seinem Zimmer diverse Scherze mit ihm erlaubt. Nichts wirklich Gemeines: Sie hatten ihm die Wangen rot angemalt, dazu noch einen Kussmund, ihm Strapse und Mieder angezogen und ihm ein Micky-Maus-Kondom über den Penis gestreift.
Er wachte auf, nackt, durchgefroren, und ihm war speiübel. Er wusste nicht, was passiert war, und er wollte sterben. Aber ein oder zwei Tage später, als er wieder nüchtern war, hatte er sich die Kerle einen nach dem anderen vorgeknöpft und sie nach Strich und Faden verprügelt. Seitdem hatte er nur noch dann körperliche Gewalt angewendet, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit mehr gab.
Aber bei Gott, wie er sich wünschte, jetzt Gewalt anwenden zu können! Gewalt gegen sich selbst, gegen seinen Körper und seinen Geist, die ihm nicht gehorchen wollten, vor allem gegen den, der ihm das hier antat. Denn das war das Schreckliche: Er wusste, dass irgendjemand dahintersteckte, der ihn wie eine Marionette an seinem Faden zappeln ließ, und er konnte nichts dagegen unternehmen!
»Halt!«, sagte er sich immer wieder. »Reiß dich zusammen. Setz dich hin ... steck dir einen Finger in den Hals ... leg den Kopf in die Hände ... warte auf Ken. Tue irgendetwas, aber tue es aus freiem Willen!«
Aber bevor sein ungehorsamer Körper auch nur einen dieser Befehle ausführen konnte, erklang die Stimme: ACH ... DEIN WILLE IST ABER NICHT MEHR FREI. DU HAST SPIONIERT UND BIST IN MEINEN VERSTAND EINGEDRUNGEN – EINE AMEISE IN EINEM WESPENNEST! UND JETZT BEZAHLST DU DAFÜR. GEH WEITER, SO WIE DU BISHER GEGANGEN BIST. GEH ZU DEN WINDMÜHLEN!
Diese schreckliche, dröhnende, betörende Stimme – dieser Wille, der sich über seinen Willen gelegt hatte –, dieser telepathische, hypnotische Befehl von jemandem oder etwas so Mächtigem, mächtiger, als er sich das je hatte erträumen lassen, unterdrückte jeden Widerstand weitaus effektiver, als es Knockout-Tropfen vermochten.
Jordans Beine fühlten sich an wie Gummi, sie zitterten und stießen an den Knien zusammen, während er versuchte, sie am Voranschreiten zu hindern. Aber genauso gut konnte man versuchen, entgegengesetzte Magnetpole voneinander oder eine Motte von einer Kerze fern zu halten. Und so folgte er weiter der Hafenmauer zur Mole und ging über deren gepflasterten Kamm, bis die uralten Windmühlen sich gegen den dunklen Ozean abhoben.
Dort in den Schatten, wo die Mauer wie die Zinne einer Burg geformt war, im Stil der alten Kreuzfahrer, deren Spuren hier noch überall zu sehen waren, wartete ein ganz in Schwarz gekleideter Seth Armstrong. Er ließ Jordan stolpernd vorübergehen und blickte dann auf die Dunkelheit der Mole zurück, über der die blinkenden Lichter der Altstadt von Rhodos auf dem Hügel erstrahlten. Er hörte rennende Schritte und eine keuchende Stimme. »Trevor? Um Himmels willen, nicht so schnell! Wo zum Teufel willst du überhaupt ...« In diesem Moment schlug Armstrong zu.
Layard sah etwas Großes, Schwarzes, Schlaksiges aus den Schatten auf sich zukommen. Ein Auge starrte ihn aus einem Schlitz in einer schwarzen Skimütze an. Keuchend schlitterte er zum Halt und wirbelte herum, um zu fliehen, da versetzte Armstrong ihm einen Schlag, der ihn auf die im Nachtlicht glitzernden Kiesel schickte. Er verlor sofort das Bewusstsein und blieb vor der Mauer liegen, die das Hafenbecken begrenzte. Jordan, der spürte, wie der Griff auf seinen Geist geringfügig nachließ, drehte sich um.
Er sah die große dunkle Gestalt von Armstrong, die wie eine Gottesanbeterin über dem bewusstlosen Layard thronte. Und er musste zusehen, wie sein Freund von kräftigen Schultern hochgestemmt und durch einen der Einschnitte in der Mauer ins Nichts hinausgeschleudert wurde. Einen Augenblick später ertönte ein
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