ENTWEIHT
etwas Derartiges würde er nie wieder geschehen lassen.
Die Verriegelung zu öffnen, war die Sache einer einzigen Sekunde – und da war sie auch schon: völlig zerzaust, zitternd und voller blauer Flecken, mit wildem Blick und trotz alledem immer noch Liz. »Seine Liz«, wie Korath es formuliert hatte. Den Wagenheber an die Brust gepresst, an den Knöcheln trat das Weiße hervor – so lag sie vor ihm. Im ersten Moment befürchtete Jake, sie würde ihm das Ding ins Gesicht schleudern. Doch dann ließ sie den Wagenheber sinken, und ihre Augen weiteten sich noch mehr.
»Jake?«, stieß sie hervor. »Jake?«
»Ja, ich bin’s!« Etwas Besseres wollte ihm nicht einfallen.
»Jake?«, sagte sie noch einmal, lauter, während sich ihm ihre Arme entgegenreckten.
»Ja, stimmt.« Er trat näher, streckte nun seinerseits die Arme nach ihr aus. »Liz, um Himmels willen, hör auf, dich zu bewegen!«
Hätte er sich so sehen können, wie sie ihn wahrnahm, wie seine Silhouette sich im Glanz der Sterne vor der Düsternis der Ägäis abzeichnete, wäre er nicht im Geringsten überrascht über ihren Gesichtsausdruck gewesen. Er war erregt, voller Schmutz, sein Haar durcheinander. Er stank nach Thermit und von Menschenhand gemachten Donnerschlägen. Die Augen in dem von Holzkohle verschmierten Gesicht funkelten mindestens ebenso wild wie die ihren.
Sie versuchte aufzustehen, sank ihm in die Arme, und als der Wagen kippte, nahm er sie und hob sie aus dem Kofferraum. An der Umrandung der Ladefläche schrammte sie sich die Knie auf, während die Limousine ein letztes Mal protestierend aufstöhnte und das Heck sich hob, bis der Wagen schließlich abrutschte und nicht mehr zu sehen war. Wie einen Todesschrei vernahmen sie das metallische Knirschen, während das Fahrzeug den Abhang hinabstürzte, und das Klatschen, mit dem es auf dem Meer aufschlug, ehe es in den salzigen Fluten versank
»Jake«, seufzte sie erneut, während er sie in den Armen hielt.
»Bist du okay?« Sie fest umschlungen haltend, ließ er seinen Blick ringsum schweifen und begriff, in welcher misslichen Lage sie sich befanden: über ihnen der Steilhang und vor ihnen der Klippenrand.
»Ja. Nein. Ich weiß nicht!«, erwiderte sie. »Ich glaube, es ist nichts gebrochen, aber ich habe überall blaue Flecken, mir tut alles weh und ich bin hundemüde.« Und mit einem leisen, hysterischen Lachen: »Im Grunde könnte man sagen, ich bin fix und fertig! Und was ist mit dir? Ich meine, ich habe dich kaum wiedererkannt.«
»Mir geht es gut«, sagte er mit einem Nicken. »Glaube ich wenigstens – körperlich jedenfalls.« Er legte den Kopf in den Nacken und fragte, während er sich fast den Hals verrenkte: »Ist das da oben eine Straße? Ich muss uns hier rausbringen.« Und zu Korath:
Ich brauche die Möbiusgleichungen.
Nur zu!, antwortete dieser mit einem leisen, düsteren Totenkichern.
Eh? Jake begriff nicht ganz. Schon wieder Wortspiele? Gibt es noch irgendetwas, was du von mir willst?
Nein, entgegnete Korath, denn jetzt habe ich ja alles – genauso wie du. Na, komm schon, Jake! Versuche die Formel heraufzubeschwören und warte ab, was passiert.
Jake tat es, spulte die Zahlen in der richtigen Reihenfolge vor seinem geistigen Auge ab bis zu der Stelle, an der sie ihm immer entglitten … doch diesmal brach die Formel nicht ab! Er hielt die Ziffern an, sah zu, wie sie ein Tor bildeten, ging mit Liz hindurch und brachte sie hinauf auf die Straße.
Als sie oben wieder auftauchten, knurrte er laut: »Du dreckiger Bastard!«
»Was war das?«, fragte Liz, noch ganz wackelig auf den Beinen. Ihr drehte sich alles.
»Nichts«, erwiderte Jake. Alles! Diese elende Kreatur hat mich von Anfang an reingelegt. Ich hatte die Möbiusformel die ganze Zeit über, aber jedes Mal, wenn ich versuchte, sie anzuwenden, pfuschte er an meinen Gleichungen herum! Ich dachte, es läge an mir – hielt mich der Sache nicht für gewachsen – dabei war er es!
Seine Gedanken waren nicht abgeschirmt, und aus dieser Nähe konnte sie nichts falsch verstehen. Mehr noch, sie wusste, dass er ihr nun alles erklären würde, weil ihm ja gar keine andere Wahl blieb. Zuvor jedoch gab es wichtigere Angelegenheiten.
Der Feuerschein, der am östlichen Horizont den Himmel erhellte – das musste das Kloster sein. So allmählich bekam Liz wieder einen klaren Kopf. Sie erkannte, wo sie sich befand, und entsann sich, was sie und die anderen hier vorgehabt hatten.
»Der Palataki!«, sagte sie, nach Westen
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