Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
locker an seinem Ellenbogen ein. Bei seiner Berührung durchzuckte mich ein Stromschlag und ich blickte ihn alarmiert an, doch er reagierte nicht. Er führte mich mit seinem typischen gleichgültigen Gesichtsausdruck in das Gebäude hinein, ohne nach rechts oder links zu blicken oder das Gemurmel zu beachten, das uns auf unserem Weg ins Innere begleitete.
Ich bemerkte, dass sein Hemd tatsächlich dieselbe Farbe aufwies wie mein Kleid und dass auch seine blauen Augen dadurch sehr vorteilhaft betont wurden. Irritiert von diesem Gedanken zuckte mein Blick wieder nach vorne und ich versuchte Davids Gleichgültigkeit zu kopieren. Neben seiner hohen Gestalt rückte ich unwillkürlich das Kinn ein wenig mehr in die Höhe und streckte mein Kreuz mehr durch. Ich war heute dank der Schuhe weit über ein Meter achtzig groß, aber David überragte mich immer noch um einige Zentimeter. Da ich ansonsten meist auf Augenhöhe mit Männern sprechen konnte, schüchterte mich das irgendwie ein.
Es war seltsam, neben ihm herzulaufen. Ich hatte den Eindruck alle starrten uns an, als wir langsam in den Saal schritten, der rund um einen langen Laufsteg herum bestuhlt war. Beinahe alle Gäste saßen schon und David schritt gelassen und in aller Ruhe auf den ersten Rang zu. Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Marianne mit ihren Freunden in einer hinteren Reihe saß und war etwas verwirrt, wohin David mit mir wollte. Doch er ging zielstrebig und ohne nach links oder rechts zu blicken ganz nach vorne, in die erste Reihe. Ich spürte alle Blicke auf mir ruhen und ich war mir sicher, dass alle sich fragten, wer dieses unscheinbare Mädchen war, dass da an der Seite dieses Halbgottes hing und so gar nicht in diese Veranstaltung passte.
„Du bist der Star des Abends. Die fragen sich alle, wer diese unbekannte Schöne an meiner Seite ist“, raunte mir David ins Ohr und ich erschrak über das Gefühl seines heißen Atems an meinem Ohrläppchen, das unwillkürlich zu kribbeln anfing. Ich warf ihm einen unsicheren Blick zu, doch seine Augen strahlten wieder diese seltsame Wärme aus und ehe ich antworten konnte fügte er mit leiser, heiserer Stimme hinzu: „Du siehst absolut bezaubernd aus, Josephine.“
Ich stolperte.
Er hielt mich fest.
Einen kurzen Moment sahen wir uns in die Augen und die Tiefe, die ich in seinen dabei erblickte, ließ mir den Atem stocken. Dann sah er weg und wies auf unsere Plätze.
Ich setzte mich mit zittrigen Knien und dachte an die Traurigkeit, die ich in seinem Blick gesehen hatte. Da war etwas Schwermütiges gewesen. Wie eine Art Leid, das er zu ertragen hatte, was mich stutzig machte. Ich warf ihm einen Seitenblick zu, doch er wirkte wieder völlig gleichgültig. Lässig lehnte er halb zu seiner Sitznachbarin gewandt in seinem Stuhl und unterhielt sich mit ihr.
„Bonsoir Madame“, sprach mich eine Stimme von rechts an. Ich wandte mich der Stimme zu und fand mich einem äußerst exzentrisch gekleidetem Herrn so um die Mitte vierzig gegenüber, der mich neugierig musterte.
„Zu welch er Agentur gehören sie?“, eröffnete er forsch die Konversation, ohne sich die Mühe zu machen, sich vorzustellen. Dabei musterte er mich prüfend, wie eine feilgebotene Ware auf einem Gemüsestand. Zumindest kam es mir so vor.
„ Äh? Ich verstehe nicht, was sie meinen?“ Der Mann trug ein knallrotes Hemd zu einer rosa Stretchjeans und rundet das ganze Ensemble mit knallgrünen Sneakers ab.
„Na, bei welcher Modelagentur stehen sie unter Vertrag?“, fragte er mich leicht gereizt, als wäre ich ein Dummchen.
Ich musste mich beherrschen, meinen Blick von seinem abstrusen Klamottenstil abzuwenden und ihm ins Gesicht zu sehen. Was allerdings nicht besser war, denn ich bemerkte, dass der Typ geschminkt war. Er hatte seine Augen mit schwarzem Eyeliner betont und trug – ich konnte es selbst kaum fassen - einen pinkfarbenen Lippenstift.
Okay, ich war niemand, der sich ein Urteil über den Modestil eines anderen erlauben durfte, aber das war wirklich äußerst abstrus. „Ähm, ach so. Nein, ich bin kein Model .“
Er runzelte die Stirn und versah mich mit einem skeptischen Blick. „Kein Model? Dann sind sie also Schauspielerin.“ Er sagte das irgendwie abwertend, als wäre das etwas Schlechteres als Model, aber gerade noch so vertretbar.
„Nein, Monsieur. Weder Model noch Schauspielerin. Ich bin eine ganz normale, unspektakuläre, langweilige Studentin, die sich irgendwie hierher verirrt hat.“ Ich empfand seine
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