Envy-[Neid]
gezwungen sein würde, war unerträglich. Obwohl Mike sein wirkliches Alter nicht beichtete, musste er schon über Siebzig sein. Gott sei Dank, schien er sich guter Gesundheit zu erfreuen und besaß die Energie eines halb so alten Mannes.
Er hatte den Alten wirklich gern. Nein, er liebte ihn. Trotzdem gab es Tage, an denen ihm selbst der unendlich geduldige Mike Strother auf die Nerven ging.
Dann brauchte er völlige Einsamkeit. Dann verschaffte ihm ein einziger Raum nicht genug Platz zum Kampf mit seinen inneren Dämonen.
Heute Morgen war er hierher gekommen, um speziell über Maris nachzudenken. Zwischen diesen verwitterten Wänden hatte er den Plan ausgeheckt, sie nach St. Anne zu locken, unter sein Dach, in seinen Einflussbereich.
Eines hatte er jedoch nicht geplant: dass sie ihm unter die Haut ging.
Trotzdem konnte er sich kein Mitleid mit ihr erlauben. Wenn er Noah Reed auf Erden einen Vorgeschmack auf die Hölle geben wollte, musste er sich dafür zwangsläufig Noahs Frau bedienen. Sie würde ins Kreuzfeuer geraten.
Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber das war eben Pech. Sie hätte nur den verdienten Lohn für die Heirat mit diesem Wichser erhalten. Sie sah ja gut aus und redete schlau daher, aber richtig klug konnte sie nicht sein.
»Ich meine, also wirklich, heiratet einen Kerl, nur weil sie sich in eine Figur aus einem Buch verliebt hat? Wie blöd kann man wohl sein?«, fragte er den Spatz.
Nein, wegen Maris Matherly-Reed durfte er sich keine sentimentalen Gefühle erlauben. Sie brachte ihn zum Lachen. Na und? Sie war eine gute Gesprächspartnerin. Na und? Sie schaute ihn aus wasserblauen Augen wehmütig an und empfand Mitgefühl für seine Narben. Und wenn schon, auf ihr Mitleid konnte er verzichten. Das brauchte er nicht. Außerdem würde sie ihn gewiss nicht bemitleiden, wenn sie wüsste, was sie erwartete…
»Du Dreckskerl!«
Parker wirbelte mit seinem Stuhl gerade noch rechtzeitig herum, um sich vor dem Buch zu ducken, das ihm an den Kopf sauste.
Kapitel 17
Einen Sekundenbruchteil, ehe es ihm gegen die Schläfe knallte, wehrte er es ab. Es landete neben seinem Stuhl im Schmutz, wo es eine Staubwolke aufwirbelte. Der Umschlag war ihm bekannt. Es handelte sich um den ersten Band der Deck-Cayton-Serie.
Direkt hinter dem offenen Eingang stand Maris. Beim ersten Besuch der verlassenen Baumwollmühle war sie ängstlich gewesen und hatte gezögert, sie zu betreten. Heute Morgen strahlte sie eine rot glühende Hitze wie ein neugeborener Stern aus. Parker bezweifelte, ob sie sich hätte einschüchtern lassen, selbst wenn die Schwelle, auf der sie stand, der Eingang zur Hölle gewesen wäre.
Da er jedoch durch den Rock bis ganz nach oben die Umrisse ihrer Beine sehen konnte, verfehlte ihre Wut ihre Wirkung auf Parker. Zumindest fast. Obwohl seine Blicke von den vagen Umrissen eines ganz bestimmten Dreiecks magisch angezogen wurden, sah er mit aller Macht auf eine neutrale Zone über ihrer Taille. Er musste sie, weiß Gott, nicht noch mehr provozieren.
Mit unerschütterlicher Ruhe fragte er: »Hat dir das Buch nicht gefallen?«
»Leck mich doch kreuzweise.«
»Vermutlich nicht.«
Sie hatte die Hände links und rechts fest zu Fäusten geballt. In dieser Haltung kam sie auf ihn zu und zitierte dabei: »›Wenigstens hatten sie sich getrennt, solange sie nur schöne Erinnerungen teilten.‹« Nur wenige Zentimeter vor seinem Stuhl blieb sie stehen. Er hatte sie noch nie mit Brille gesehen. »Entweder hast du abgeschrieben, oder du bist ein perfekter Lügner. Ein Dreckskerl bist du sowieso.«
»Sagtest du bereits. Ich hab’s schon beim ersten Mal verstanden.«
»Und, was bist du? Nur, damit ich’s weiß. Eines ist so widerwärtig wie das andere.«
»Vermutlich hast du aus Kapitel Siebzehn zitiert, Seite 243. Deck steht vor dem Grab seiner verstorbenen Frau.« Er mimte den Verblüfften. »Ich bin mir nicht sicher, ob jemand von sich selbst abschreiben kann. Geht das?«
Vor Wut war sie sprachlos.
»Trotz seiner tiefen Trauer ist Deck dankbar, weil sie wenigstens kurze Zeit ein Teil seines Lebens war«, fuhr er fort. »Ich fand den Satz immer ziemlich gut.«
»Gut genug, um ihn noch mal zu verwenden. In Neid.
Nachdem Leslie mit Roark Schluss gemacht hat.«
Wann genau hatte sie den verräterischen Absatz entdeckt? Gestern am späten Abend, als sie im Gästecottage im Bett lag? Oder heute Morgen beim Frühstück? Eigentlich waren die näheren Umstände egal. Sie kannte sein
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