Enwor 1 - Der wandernde Wald
rasch nach Ipcearn dringen, und Seshar kennt mich zu genau, um nicht zu wissen, daß ich etwas unternehmen werde. Wir werden weg sein, ehe seine Reiter eintreffen. Sie werden es nicht wagen, uns in die Wüste zu folgen. Nicht einmal Mergell ist verrückt genug dazu.«
»Heute?« wiederholte Skar überrascht.
»Am frühen Vormittag. Es ist ein halber Tagesritt zu den Höhlen. Wir müssen sie vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Während der Nacht sind die Hoger zu aktiv. Wir hätten keine Chance, die Höhlen lebend zu erreichen.«
Skar nickte. Bernecs Worte klangen überzeugend, wenn ihm auch die Vorstellung, während der heißesten Zeit des Tages durch den Glutofen der Nonakesh zu reiten, alles andere als behaglich war. »Wer wird mit uns .reiten?«
Bernec machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum einschloß. »Wir alle. Nicht mehr. Ein zu großes Heer würde zu sehr auffallen. Die Hoger sind wachsam, auch am Tage.« Er stand auf und deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür. »Es wäre besser, wenn wir alle uns zurückziehen und noch ein wenig ruhen würden«, sagte er. »Der Ritt durch die Wüste wird unsere letzten Kräfte fordern. Und es ist noch viel vorzubereiten.«
Skar verstand. Natürlich würde keiner von ihnen Schlaf finden, nicht einmal Ruhe. Aber er respektierte Bernecs Wunsch, allein zu sein. Er tauschte einen raschen Blick mit Del, stemmte sich in die Höhe und verließ ohne ein weiteres Wort das Gebäude.
Der Wind schien kälter geworden zu sein, als er aus dem niedrigen Eingang trat und stehenblieb. Die dichte Blätterkrone des Baumes raschelte und raunte um ihn herum, wisperte mit leiser Stimme geheimnisvolle Worte. Er hörte, wie Del hinter ihm aus dem Haus trat und die Tür schloß, stehenblieb.
»Dir ist klar, daß wir w
ahr
sche
inli
ch bei diesem Wahnsinnsunternehmen draufgehen werden«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
»Ich weiß. Und ich wußte auch, daß du es weißt.«
Skar fuhr überrascht herum. Es war nicht Del.
»Coar!« keuchte er. »Du…«
»Nicht.« Coar schüttelte hastig den Kopf, trat mit einem Schritt auf ihn zu und warf sich an seine Brust. »Ich… wollte noch einmal mit dir reden«, sagte sie leise. Ihre Stimme bebte, und obwohl sie den Kopf gesenkt hatte und er ihr Gesicht nicht sehen konnte, wußte er, daß sie weinte. Er hob die Hand, streichelte zögernd
ihr
Haar und umarmte sie. Ihr Körper fühlte sich mit einemmal seltsam zerbrechlich und leicht an. Verwundbar.
»Ihr geht fort«, sagte sie. Es war keine Frage.
»Ja«, antwortete er. »Es… muß sein. Wir können nicht hierbleiben. Wir hätten niemals kommen dürfen.«
Coar wollte etwas sagen, aber er preßte sie an sich und sprach rasch und gezwungen ruhig weiter. »Wir sind nicht die Männer, auf die ihr gewartet habt, Coar. Wir sind keine Götter, und wir sind auch keine Befreier. Wenn wir euch überhaupt etwas gebracht haben, dann Unglück.«
Ihr Schweigen traf ihn härter als alles andere zuvor. Lange, lange Zeit blieben sie reglos aneinanderge
klamm
ert so stehen, und jeder von ihnen fühlte sich unendlich einsam und allein. Skar wußte in diesem Moment mit absoluter Sicherheit, daß sie ihn liebte, trotz allem, was geschehen war, aber der Gedanke schürte seinen Schmerz noch mehr. Er löste seine Hände von ihrem Rükken, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küßte ihr Gesicht. Es schmeckte salzig. Nach Tränen und Schmerz.
»Es tut
mir
so leid«, flüsterte er. »Ich würde mein eigenes Leben opfern, wenn ich Cornec damit helfen könnte.«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Coar mit erstaunlicher Ruhe. »Niemand ist schuld daran, Skar. Wenn überhaupt, so sind wir es selbst. Ich… ich habe Bernecs Ideen niemals zugestimmt, aber jetzt weiß ich, daß er recht hatte, die ganze Zeit.« Sie löste sich aus seiner Umarmung, trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Er hat recht«, sagte sie noch einmal. »Wir können nicht mehr länger stillhalten. Wir haben jahrhundertelang gewartet und auf eine Zukunft gehofft, die niemals stattfinden wird.«
Skar schüttelte den Kopf. »Du bist verbittert, Coar«, sagte er. »Aber —«
»Ich bin nicht verbittert. Ich bin nur endlich aufgewacht, Skar. Bernec hat recht, hundertmal recht! Generation um Generation haben wir gehofft und gebetet, aber es ist nichts geschehen. Du hast Cearn einmal mit dem Paradies verglichen, aber das stimmt nicht. Es ist die Hölle. Eine Hölle, aus der es kein
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