Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 2 - Die brennende Stadt

Enwor 2 - Die brennende Stadt

Titel: Enwor 2 - Die brennende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
dem Daumen über die ungepflegten Bartstoppeln auf seinem Kinn und schenkte Skars Becher nun doch voll. »Spül deinen Ärger hinunter.«
    Skar seufzte, nahm einen winzigen Schluck — kaum genug, um die Lippen zu benetzen — und stellte den Becher sorgsam auf den feuchten Fleck auf der Theke zurück. »Laß gut sein«, murmelte er. »Ich gehe jetzt besser. Vielleicht finde ich Del doch noch irgendwo.« Er verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und ging rasch hinaus.
    Sein Umhang tropfte noch immer vor Nässe, und als er auf die Straße hinaustrat, raubte ihm der eisige Wind für einen Moment den Atem.
    Er blieb unschlüssig unter der Tür stehen, drehte das Gesicht aus dem Wind und starrte die Straße hinab. Da und dort schimmerte bereits ein erster zaghafter Lichtstrahl unter einer Türritze oder einem geschlossenen Laden hervor, und die Sonne, die über den unsichtbaren Horizont gestiegen war, während er sich in der Schänke aufgehalten hatte, versah die kantigen Zinnen der Stadtmauer mit einem flackernden Kranz trübroten, feurigen Lichts.
    Er sah flüchtig nach oben und verzog das Gesicht. Der Himmel war hinter einer tiefhängenden, brodelnden Wolkenmasse verborgen, die da und dort den orangeroten Schein des Sonnenaufganges reflektierte, und aus der Regenschleier wie unzählige dünne, peitschende Arme auf die Stadt herabgriffen. Es würde auch heute nicht richtig hell werden. Der Sturm hatte an Kraft verloren, aber es war wohl nur eine Atempause, nach der er mit größerer Wut wieder losbrechen würde.
    Skar überlegte einen Moment, ob er den Umweg in Kauf nehmen und noch ein paar Freudenhäuser aufsuchen sollte, um zu sehen, ob er Del irgendwo traf, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Er würde nur einen Streit provozieren, wenn er Del in einer Umgebung aufstöberte, in der er sein Gesicht wahren mußte. Nein — was es zwischen ihnen zu bereden gab, gehörte nicht an die Öffentlichkeit. Er würde es unter vier Augen klären.
    Genaugenommen konnte er Del sein Verhalten nicht einmal verübeln. Der Satai war jung, und Ikne war keine Stadt, in der ein junger Mann auf seine Kosten kam. Sogar er selbst verspürte in letzter Zeit eine immer stärkere Unruhe, und er kam sich mehr und mehr wie ein Gefangener vor, und die mächtigen grauen Mauern schienen ihm eher Fessel als Schutz zu sein. Es gab keinen sichereren Ort zum Überwintern als die reiche Händlerstadt an den Ufern des Besh mit ihren uneinnehmbaren Mauern, ihrer Wärme und Sicherheit, aber ihre Einwohner zahlten für diesen Luxus mit Unfreiheit und der Tyrannei der Priesterkönige und ihrer Garden. Sechs Monate waren vergangen, seit sie nach ihrem fehlgeschlagenen Versuch, die Nonakesh-Wüste zu überwinden und an den Küsten des Nebelmeeres nach Norden zu ziehen, zurückgekehrt waren, sechs Monate, in denen sie in dieser Stadt wie in einem goldenen Käfig festsaßen.
    Skar atmete innerlich auf, als er daran dachte, daß sie in wenigen Stunden schon fortgehen konnten. Cubic hatte ihre verzweifelte Lage sofort erkannt und ihnen für den Kampf weit weniger geboten, als ihnen zustand. Aber es würde immer noch reichen, um nach dem Abzug ihrer Schulden Pferde und Sättel für sich und Del zu erstehen und wegzureiten. Vielleicht würden sie den Besh hinab nach Endor ziehen, um dort den Winter abzuwarten. Es war zu spät, sich jetzt noch dem Zug gegen die Quorrl anzuschließen. Dafür war im nächsten Frühjahr noch immer Zeit genug — falls die Gefahr dann noch existierte.
    Ein leises Knarren drang in seine Gedanken, das Geräusch der rostigen Angeln, als die Tür rasch geöffnet und dann gegen die Kraft des Windes mit einem Ruck wieder geschlossen wurde.
    Er drehte sich um und legte den Kopf schief, um durch die peitschenden Regenschleier erkennen zu können, wer ihm da gefolgt war.
    Es war die Frau, die ihm schon drinnen in der Taverne aufgefallen war. Sie trug jetzt einen bodenlangen, braunen Umhang, unter dessen Kapuze nur ein schmaler Streifen ihres Gesichts zu erkennen war, und der lange, in Tücher eingehüllte Gegenstand in ihren Händen war eindeutig ein Schwert. Sie blieb einen Moment unter dem Türsturz stehen, überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, daß sie wirklich allein mit Skar auf der Straße war, und trat dann auf ihn zu.
    »Mein Name ist Gowenna«, sagte sie. Sie sprach leise, aber ihre Stimme hatte einen festen, selbstsicheren Klang. Es war die Stimme eines Menschen, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen.

Weitere Kostenlose Bücher