ePub: Der letzte Zauberlehrling
damit nur Geld verdienen, deshalb wird er die billigsten Zauber in großen Mengen verbreiten. So verkommt die lange Zaubertradition unseres Landes zu reinem Klamauk.«
Nach dem offiziellen Festakt, bei dem nur die Zauberer selbst anwesend waren, wurden die Ehepartner eingelassen und der Ball vom Erzkanzler persönlich eröffnet. Im Hof des Grand Palais hatte sich eine Anzahl von Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur versammelt, die ebenfalls an dem Ereignis teilnehmen durften, das zum letzten Mal stattfand.
Zu einem kleinen Zwischenfall kam es am Rande der Veranstaltung, als ein offenbar angetrunkener Zauberer, der sich dem Geschäft nicht angeschlossen hatte, andere Gäste anpöbelte und von einigen jungen Leuten des Geländes verwiesen werden musste. »Es bestand zu keiner Zeit Gefahr für Leib und Leben der Anwesenden«, versicherte Isidor Pathé, Chef der Sicherheitspolizei. »Störenfriede gibt es immer. Man sollte ihnen nicht zu viel Bedeutung zumessen.«
Ich warf die Zeitung auf den Tisch zurück. Des Geländes verwiesen – pah! Prometheus war von sich aus gegangen. Und kein Wort davon, dass die »jungen Leute« ihn zuvor beschimpft und verspottet hatten! Was sollte man der Presse noch glauben, wenn schon solche einfachen Tatbestände falsch dargestellt wurden?
Ich versuchte, Prometheus darauf anzusprechen, aber er winkte nur unwirsch ab. »Pompignac hat die Presse in seiner Tasche. Und die Politik ebenfalls. Oder was meinst du, warum der Erzkanzler persönlich anwesend war?«
Mehr war ihm nicht zu entlocken. Ich fragte mich, ob Agnetha den Artikel auch gelesen hatte und was sie davon hielt. Was machte sie jetzt wohl? Hatte sie wirklich die Stelle bei Pompignac angetreten? Ich hatte bei unseren beiden Begegnungen den Eindruck gewonnen, als sei sie, im Gegensatz zu ihrem Bruder, nicht gerade begeistert von den Entwicklungen. An einem der nächsten Tage musste ich sie unbedingt besuchen. Ich hoffte nur, die Adresse, die sie mir im Zug gegeben hatte, stimmte noch.
Aber zunächst hatte das Schicksal ein Treffen mit Papillon für mich vorbereitet.
***
In den ersten Wochen nach meiner Ankunft in Paris war ich abends zu erschöpft, um an irgendetwas anderes zu denken als daran, wie ich den nächsten Tag einigermaßen überstehen würde. Ich stellte fest, dass echte Zauberei vielleicht einfach erscheinen mochte, in Wirklichkeit aber eine äußerst kräftezehrende Angelegenheit war.
Eine meiner Übungen bestand darin, alle Pulver und Tinkturen in dem Raum, den ich die Zauberstube nannte, genau kennenzulernen. Prometheus fragte mich jeden Abend ab, und er wurde sofort ungehalten, wenn ich nicht alle Ingredienzen und ihre Mischungsverhältnisse aus dem Effeff aufsagenkonnte. So hockte ich oft bis spät in der Nacht über den entsprechenden Büchern und prägte mir die Zusammensetzung der Mittelchen so gut wie möglich ein.
Jeden Tag stellte der Alte mir zudem eine neue Aufgabe. Der Regenzauber war erst der Anfang gewesen, von Tag zu Tag steigerte sich der Schwierigkeitsgrad der Beschwörungen, die ich erlernen sollte. Manchmal benötigte ich mehrere Tage, bis ich einen Zauber so beherrschte, dass Prometheus zufrieden war. Am Ende der vierten Woche konnte ich mithilfe meiner Beschwörungen den Zug auf der Platte herumfahren lassen, die Figuren hin und her bewegen, die gesamte Platte um wenige Zentimeter anheben, einen kleinen Sturm über die Landschaft fegen lassen, Gebäude und Figuren (zumindest zeitweise) verdoppeln oder (ebenfalls zumindest zeitweise) verschwinden lassen.
Das alles gelang mir allein durch das Summen bestimmter Töne in unterschiedlichen Tonhöhen und Abfolgen sowie die Verwendung der passenden Zutaten aus der Zauberstube, die ich immer häufiger selbst herausfinden musste. Prometheus war ein unerbittlicher Lehrer, der mir stets schwierigere Aufgaben abverlangte, und ich fragte mich, ob das in diesem Tempo mehrere Jahre so weitergehen würde. Gordius war eher der entspannte Typ gewesen, der mich pro Woche einen Kleinzauber gelehrt hatte und mir jede Hilfestellung bot, die ich benötigte. Manchmal, wenn ich abends in meinem Bett lag, sehnte ich mich nach ihm zurück, nach seiner Herzlichkeit und seiner Güte. Dort hatte ich mich wohlgefühlt. Hier, bei Prometheus, war ich ein Fremder.
Doch die viele Arbeit schien sich mit der Zeit bezahlt zumachen. Nach einigen Wochen intensiven Übens hatten sich meine Zauberkünste deutlich weiterentwickelt. Irgendwann war ich schon am frühen
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