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Erbarmungslos: Thriller (German Edition)

Erbarmungslos: Thriller (German Edition)

Titel: Erbarmungslos: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Henshaw
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Regierungen waren von Natur aus paranoid, wenn es um Westler ging, da waren die Chinesen nicht anders. Das MSS und seine Sicherheitsbehörden konnten ein hundertköpfiges Überwachungsteam zusammenstellen, nur um eine einzige Zielperson zu verfolgen. Mitchell dürfte an zwei aufeinanderfolgenden Abenden nie dasselbe Gesicht zweimal zu sehen bekommen, es sei denn, man wollte ihm eine Botschaft übermitteln. Die Gesichter an diesem Abend kamen ihm alle bekannt vor.
    Seine Verfolger hatten sich bereits früh zu erkennen gegeben. Ein Chinese in englischem Maßanzug, wahrscheinlich in Hongkong geschneidert, hatte ihn bedrängt und dabei fast auf die Straße gestoßen. Mitchell bezeichnete diesen Mann mit Alpha. Dank seiner Kleidung und der Tatsache, dass er sich über sechs Straßenblocks hinweg drei Meter hinter Mitchell hielt, war er nicht zu übersehen. Mitchell reagierte in passiv-aggressiver Weise und ging absichtlich langsam, sodass die Leute um sie herum ausweichen mussten. Alpha fing an, ihn nach jedem Straßenblock anzurempeln, worauf Mitchell allerdings nicht einging. Wenn Alpha und seine Partner versuchten, ihn dazu zu provozieren, die örtlichen Sicherheitsbeamten anzugreifen, damit diese einen Grund hätten, ihn festzunehmen, würde er sie enttäuschen müssen. Nachdem Mitchell eine halbe Stunde lang nur die Straßen entlanggeschlendert war und Schaufenster angesehen hatte, konnte Alpha seine Unsicherheit und Langeweile nicht mehr verbergen und hielt Abstand.
    Vielleicht war Alpha gar nicht vom MSS ? Chinesische Gefängnisse waren verrückte Orte mit einem gewissen Einfluss auf die Lebenserwartung, sodass das kriminelle Leben in Peking stark vom Prinzip der Auslese geprägt war und nur diejenigen, die rasch lernten, lange genug dabei waren, um sich über Touristen hermachen zu können. Mitchell verwarf diese Möglichkeit. Alpha war für diesen Beruf zu gut gekleidet. Es bestand die geringe Möglichkeit, dass er vom Ministerium für Öffentliche Sicherheit war, dem g o ¯ ng a ¯ n bù , Chinas Entsprechung zum FBI , oder von der bewaffneten Volkspolizei. Mitchell waren die Möglichkeiten gleichgültig. Alle Behörden arbeiteten zusammen, und ein chinesisches Gefängnis blieb ein chinesisches Gefängnis, egal, wer den Schlüssel in der Hand hielt.
    Mitchell blieb an der nächsten Kreuzung abrupt stehen. Alpha war weit genug hinter ihm, sodass er den Abstand beibehalten könnte, doch er holte auf. Der Augenblick war perfekt. Die Ampel schaltete auf Grün, woraufhin Alpha vorwärtsstürmte und Mitchell im Vorbeigehen kräftig rempelte, sodass Mitchell gegen einen stehenden Wagen fiel. Der Fahrer hupte und fluchte auf Chinesisch. Mitchell schluckte seine Wut, auch wenn er dazu kaum mehr in der Lage war.
    Zeit, nach Hause zu gehen , dachte Mitchell. Er mochte nicht grundlos in eine Schlägerei geraten, und er kannte die Grenzen seiner Geduld genau. Er hätte Alpha lieber in eine schmutzige Gasse gelockt und ihm seinerseits ein paar blaue Flecke verpasst, doch Wut war ein schlechter Ersatz für ein diszipliniert erlerntes Handwerk.
    Mitchell umrundete den Block und ging, dicht gefolgt von Alpha, die sechs Straßenblocks zurück zum Laitai-Einkaufszentrum nördlich der US-Botschaft. Der Chinese gab seine langsame Verfolgung auf, als auch ihm klar wurde, welches Ziel Mitchell anstrebte. Die US-Marines, die am Tor Wache hielten, würden nicht zögern, einen Nichtamerikaner, der versuchte, in das Gebäude einzudringen, auf den Bürgersteig zurückzustoßen. Die Botschaft zu bewachen war langweilig, und sich mit einem auf Krawall gebürsteten Einheimischen anzulegen, das war eine willkommene Ablenkung. Einige Spielregeln wurden nie gebrochen. Die Strafen waren schmerzhaft und wurden umgehend verhängt.
    Der Soldat prüfte Mitchells Ausweis, winkte ihn auf den Boden der Vereinigten Staaten durch und musterte Alpha streng von oben bis unten, bis dieser sich umdrehte und in der Dunkelheit verschwand. Mitchell würdigte seinen Verfolger keines Blickes mehr.
    Als Stationsleiter kam Mitchell nicht in den Genuss regelmäßiger Arbeitszeiten. Mit dieser Unerfreulichkeit hatte er schon früh seinen Frieden geschlossen. Zur Spionage gehörte es, Zeitpläne einzuhalten, aber die waren nicht an Bürozeiten gebunden, und oft wurde nach Einbruch der Dunkelheit gearbeitet. Mitchell hatte seine besten Jahre schon hinter sich, und seine Arbeit machte ihm körperlich zu schaffen. Mit der Disziplin, die er sich beim NCS , dem National

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