Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
Kirschholz rutschten und auf den Boden fielen. Sie stellte ihre Stiefel daneben und hängte den Mantel auf.
Das Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte am Telefon im dämmrigen Licht. Sie telefonierte ungern, selbst wenn sie nicht in düsterer Stimmung war, doch das Blinklicht hatte einen Gedanken bei ihr ausgelöst und der wiederum einen inneren Kampf, der sich eine überraschend lange Minute hinzog.
Kyra lehnte sich an die Wand und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
So schwer konnte das mit der Analyse auch nicht sein.
Erster Schritt: Ermittlung der Sachverhalte. Sie wohnte noch keine zwei Wochen in dieser Wohnung, und die Telefonnummer hatte sie erst nach ihrem Einzug erhalten. Diese hatte sie nur ihren Eltern, der CIA und mehreren Lieferanten für Pizza und asiatisches Essen gegeben. Ermittlung abgeschlossen.
Zweiter Schritt: Szenarien entwickeln und Möglichkeiten zuordnen. Die Essenslieferanten konnte sie ausschließen. Sie riefen nicht an, um Kunden zu werben. Ein Telemarketingunternehmen? Sie hatte ihre Nummer sofort nach der Aktivierung in eine Liste eintragen lassen, damit sie genau von solchen Firmen nicht angerufen wurde, doch einigen Unternehmen war dieses Verzeichnis egal. Also geringe Wahrscheinlichkeit, aber nicht ausgeschlossen.
Ihre Eltern? Die Wahrscheinlichkeit war hoch, doch zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater ungleich verteilt. Vielleicht hatte ihre Mutter angerufen, nicht aber ihr Vater. Ihre Unterschiede hatten zu oft zum Streit geführt. Der Professor war viel zu stolz auf seinen Intellekt, um eine Tochter zu tolerieren, die Politik von einer anderen Warte aus betrachtete, besonders eine, die nicht von Hass dem blutrünstigen Militär oder dem korrupten Geheimdienst gegenüber geprägt war. Doch ihre Mutter als Diplomatin in der Familie versuchte stets, die Tochter-Vater-Verbindung zu retten, die unaufhörlich bröckelte.
Der Geheimdienst war weit unwahrscheinlicher. Kyra hatte wie gefordert dem CIA ihre Nummer mitgeteilt, allerdings erst vor zwei Tagen. Mit Sicherheit war ihre Nummer bereits in der Datenbank gespeichert, doch in der Zentrale gab es keine engen Freunde, die sie anrufen würden. Vielleicht hatte jemand aus der Abteilung der Direktorin angerufen. Das war gestern passiert. Die Sekretärin hatte Kyra zur Direktorin bestellt, wo sie heute gewesen war. Unwahrscheinlich also, dass Cooke erneut anrufen ließ.
Burke war eine Möglichkeit, doch von ihm hatte sie sich vor nicht ganz einer Stunde verabschiedet. Und schließlich hatte er sie nach Hause geschickt. Sofern kein Notfall vorlag – und sie konnte sich nicht ausmalen, wie ein Notfall in der Analyseabteilung aussehen könnte –, hatte er keinen erkennbaren Grund, sie anzurufen.
Ihre Mutter, das Büro der Direktorin, Burke, ein Telemarketingunternehmen. In dieser Reihenfolge der Wahrscheinlichkeit.
Dritter Schritt: Hypothesen prüfen.
Kyra drückte die Anrufbeantwortertaste.
»Kyra, hier ist Reverend Janet Harris, Mitarbeiterin des Pfarrers in der Saint James Episcopa Church hier in Leesburg. Ihr Vater hat heute Vormittag angerufen und darum gebeten …«
»Recht herzlichen Dank, Dad«, sagte sie zu niemand Speziellem, als Allerletztes zu ihrem Vater. Kyra hob den Hörer, ließ ihn wieder auf die Gabel fallen und schleuderte das Telefon schließlich auf den Teppich.
Ob sich der Alte wirklich Sorgen machte? Unwahrscheinlich. Ihm war sein öffentliches Ansehen wichtiger als ihr Seelenheil. Einer seiner beiden Doktortitel hatte er in Theologie gemacht, und er war Kirchenvorstand in der Gemeinde in Scottsville, wo er mit ihrer Mutter lebte. Eine Tochter, die nichts mit der Kirche am Hut hatte, könnte für ihn eine peinliche Angelegenheit sein. Sie bezweifelte, dass er mit den anderen Gemeindemitgliedern über sie gesprochen hatte.
Kyra ging zu dem fast leeren Kühlschrank und zog den Rest Gumbo von einem Cajun-Schnellimbiss heraus, den sie abseits der Market Street ausfindig gemacht hatte. Auch ein Bier schnappte sie sich, nicht alkoholfrei, und einen Styroporbehälter mit klebrigem Reis und Mango. Sie aß die Reste, leerte die Dose Bier, ließ den Müll auf dem Tisch stehen und fiel ins Bett.
Dritter Tag
Dienstag
Botschaftsbezirk
Peking
Die Männer, von denen Carl Mitchell verfolgt wurde, waren weder leise noch geschickt. Er hatte während seiner zwei Jahre als CIA -Stationsleiter in der US-Botschaft von Peking schon viele von ihnen gesehen, davor noch mehr in Moskau, Kiew und Hanoi. Kommunistische
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