Erben der Macht
anderen Gründen auch deshalb in diese Welt gekommen, um hier Könige sein zu können. Was dann ziemlich schiefging.“
Devlin versuchte, in Gressyls Gesicht eine Ähnlichkeit zu seinem zu erkennen. Er fand keine. Was nicht nur daran lag, dass Gressyl eine völlig andere Haar- und Augenfarbe besaß – silberblond und schwarz –, sondern weil auch seine Gesichtszüge anders geformt waren; kantiger, die Nase schmaler, die Augen standen ebenfalls etwa näher beieinander. Kaum zu glauben, dass Gressyl tatsächlich sein Bruder war.
Reya hatte immer behauptet, dass alle seine Geschwister tot wären, ermordet von den Mönchen der Heiligen Flamme. Offensichtlich entsprach das nicht der Wahrheit. Verdammt, was hatte sie ihm noch alles verheimlicht, wo ihn noch belogen? Aber nachdem er ihren geheimen „Arbeitsraum“ im Keller unter der Residenz entdeckt hatte, hätte er damit rechnen müssen, dass sie noch eine Menge mehr Geheimnisse hatte. Ihn schauderte bei der Erinnerung, was er dort vorgefunden hatte: d rei Frauen, in denen sie versucht hatte, die Bedingungen zu manifestieren, die das Eine Tor öffnen konnten – Homunkuli, die sie mit Magie aus Menschen- und Dämonenblut erschaffen hatte.
Wie er erfahren hatte, waren das nicht die ersten ihrer derartigen Opfer. Das Schlimmste daran: Die Frauen waren keineswegs tumbe Geschöpfe ohne Verstand, sondern fühlende Wesen mit einer Seele. Devlin hatte ihnen die Erinnerungen an ihr Martyrium magisch genommen und Reya beauftragt, sie zu Bronwyns Dienerinnen zu erziehen. Da die Frauen keinerlei menschliche Sozialisation besaßen, konnte er sie nicht gehen lassen, bevor sie nicht gelernt hatten, sich wenigstens halbwegs wie normale Menschen zu verhalten. Er hoffte, dass ihm und Bronwyn genug Zeit blieb, ihnen das Wichtigste beizubringen. Nachdem er nun erfahren hatte, dass Gressyl sein Bruder war, wagte er sich nicht vorzustellen, welche Dinge Reya noch vor ihm verbarg.
Etwas anderes beschäftigte ihn im Moment noch mehr. Abgesehen davon, dass er im Gegensatz zu Bronwyn Gressyls Freundschafts- und Loyalitätsversprechen nicht allzu weit traute, hatte er das Gefühl, dass es dafür einen sehr guten Grund gab. Nicht nur den, dass er – zugegeben – eine gewisse Eifersucht empfand, weil Bronwyn sich so gut mit ihm verstand. Diese Eifersucht war tatsächlich lächerlich, denn er und Bron waren so fest verbunden, dass sie einander nicht untreu werden konnten; nicht mal, wenn sie das mit aller Gewalt gewollt hätten. Also musste irgendetwas an Gressyl sein, mit ihm zu tun haben, was ihn nicht nur zu dieser irrationalen Regung veranlasste, sondern sein Misstrauen rechtfertigte.
Zu einem Teil lag es sicherlich daran, dass ein intelligenter Gressyl gefährlicher war als der Idiot, den Devlin sein Leben lang gekannt hatte. Der hatte aufs Wort gehorcht, auch wenn er manche Dinge mangels Verstand etwas allzu wörtlich genommen hatte. In dem Zustand war er berechenbar gewesen. Verlässlich wie ein Uhrwerk. Sein intelligentes Selbst war das nicht, war zu Intrigen fähig, zu Hinterlist, zu wer weiß was noch.
Devlin merkte, dass er wütend wurde, ohne dass es einen erkennbaren Grund gab. Verdammt, was war los mit ihm? Mit Gressyl? Bevor er dem auf den Grund gehen und Gressyl – seinen Bruder, unfassbar! – danach fragen konnte, kam Bronwyn ihm zuvor.
„Wir können bestimmt mit diesem Spiegel herausfinden, warum du deine Intelligenz verloren hattest, Gressyl. Oder sie dir genommen wurde. Was auch immer.“
Gressyl – lächelte. Immer noch ein ungewohnter Anblick. Sehr gewöhnungsbedürftig. „Das wäre von Vorteil. Wenn ich das erfahre, finde ich vielleicht auch einen Weg, meine Erinnerungen zurückzubekommen.“
„Kein Problem“, versicherte sie und blickte nachdenklich auf die milchigen Schwaden im Spiegel. „Eines verstehe ich nicht“, sagte sie. „Wir haben zwar gesehen, was auf dieser Seite des Tores passiert ist, aber nicht das, was sich in der, eh , Unterwelt in der Zeit davor ereignet hat. Warum nur die Ke’tarr’ha und Py’ashk’hu hierhergekommen sind. Die können doch nicht als einzige Dämonen von der Existenz des Einen Tores gewusst haben. Das muss doch auch anderen Dämonen bekannt gewesen sein.“ Sie blickte Gressyl an.
Er nickte. „Dass es existiert, wissen alle. Schon ewig. Aber niemand wusste damals, wo. Vielmehr wusste niemand, welches der unzähligen Dimensionstore, die in diese Welt führten und noch führen, das Eine Tor ist, dessen
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