Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
Territorium des Rudels zu betreten. Dennoch – Ty hatte recht. Jaden würde keine Ruhe finden, wenn er seinem Instinkt nicht folgte.
»Das will ich hoffen. Komm. Wir können Lilys Computer benutzen. Sie freut sich sicher über Gesellschaft.«
Jaden stand wortlos auf und folgte Ty. Er war dankbar, Freunde zu haben, die ihn sogar bei so etwas unterstützten, und er konnte nur hoffen, dass ihm seine Neugier diesmal nicht zum Verhängnis wurde.
5
Jaden hätte nicht sagen können, was genau er sich von Silver Falls, New York, erwartet hatte – jedenfalls nicht das, was er bisher von dem Ort gesehen hatte. Er war eher auf ein typisches Hinterwäldlerkaff am Ende der Welt gefasst gewesen, voller verrosteter, aufgebockter Pick-ups, Wohnwagen mit Rädern auf dem Dach und gelegentlich einem trübsinnig blickenden Nutztier in dem ein oder anderen Vorgarten. Stattdessen war er durch eine entzückende Innenstadt gekommen und fuhr jetzt durch Straßen, an denen überwiegend gut gepflegte Häuser standen, von viktorianischen bis hin zu modernen Gebäuden. Nirgendwo zeigten irgendwelche Lokalpatrioten ihm und seiner Corvette den Stinkefinger, und es waren auch keine kaum menschlichen Werwölfe unterwegs, um Eindringlingen wie ihm hinterherzuspüren. Das Beste aber war, dass er bisher noch keinen Wolfsgeruch wahrgenommen hatte.
Vielleicht war das Rudel kleiner, als Ty angenommen hatte, überlegte Jaden sich gerade, als sein GPS ihn in Lyras Straße dirigierte. Vielleicht existierte nur noch eine Handvoll räudiger Einzeltiere, die sich zusammengeschlossen hatten und verzweifelt an dem Einzigen festhielten, was für sie noch von Wert war. Zumindest hatte er noch nie von Werwölfen gehört, die in einer solch schönen Umgebung lebten. Silver Falls war nicht allzu weit von Syracuse entfernt, es lag ziemlich in der Mitte des Bundesstaats inmitten der Finger Lakes. Es war ein pittoreskes Städtchen, wie viele in dieser Gegend, eingebettet in eine herrliche Landschaft, die gerade aus einem weiteren langen Winter erwachte. Der Ort selbst lag abgeschieden, etwa fünfzehn Meilen von allen benachbarten Orten entfernt. Wenigstens das ergab Sinn.
Im Gegensatz zu dem heimeligen Haus mit der einladenden Veranda, vor dem er zum Stehen kam.
Hier
sollte der Anführer des Thorn-Rudels leben, eines Rudels, das laut Ty für seine Wildheit bekannt war?
Jaden stellte den Motor ab und blieb einen Moment still sitzen. Er musste erst mal verarbeiten, dass nicht nur das Haus in bestem Zustand war, sondern auch der Garten. Dass Lyra gern im Garten arbeitete, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Vielleicht ihre Mutter? Was das wohl für eine Frau war, die ein wildes Ding wie Lyra in die Welt gesetzt hatte? Nun, das würde er vermutlich gleich herausfinden – wenn ihn nicht der Mut verließ.
»Verdammt. Ich werde mit einem ganzen Rudel fertig, wenn es sein muss«, grummelte er. Es nervte ihn, dass er aufgeregt war wie ein bemitleidenswerter Teenager. So etwas hatte er seit über zweihundert Jahren nicht mehr erlebt, und er hatte nicht die geringste Lust, noch mal in seine Pubertät zurückzukehren. Jaden riss den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg aus.
Sofort wurde ihm sein Fehler klar, aber jetzt war es zu spät. Er konnte nur dastehen und verzweifelt versuchen, nicht den Verstand zu verlieren.
Es roch überall intensiv nach Werwolf.
Jaden wusste nicht, wie ihm das hatte entgehen können. Vielleicht hatte er die Klimaanlage auf Umluft eingestellt. Eigentlich hätte er schon vor einiger Zeit ein Fenster öffnen müssen, um sich langsam an den Geruch zu gewöhnen, denn so bedeutete er einen Schock für seinen Kreislauf. Die Luft, die er einatmete, die Brise, die durch sein Haar fuhr, alles roch nach Wolf. Und die Katze in ihm wollte – nein, verlangte –, dass er zurück ins Auto hechtete und so schnell wie möglich die Stadt verließ. Nur mit Mühe konnte Jaden ein schmerzvolles Aufjaulen unterdrücken. Seine Muskeln waren wie gelähmt, und ihm brach der kalte Schweiß aus. Er bekam kaum Luft, und alle seine Sinne kreischten ihm zu, dass er vom Feind umzingelt sei.
Vielleicht wäre er davongelaufen, vielleicht hätte er gar nicht anders können – doch in dem Moment sah er Lyra durch eins der Fenster. Sie warf keinen Blick nach draußen, sondern trat, offensichtlich tief in Gedanken, ins Zimmer, bückte sich, hob etwas auf und verließ das Zimmer dann wieder.
Sofort war Jaden wieder völlig in ihrem Bann. Der Geruch, die
Weitere Kostenlose Bücher