Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
besucht. Ich hätte ihm wahrscheinlich von deiner Tochter erzählt, aber er meinte, du hättest eine Freundin und wolltest keine Briefe von mir. Ich sollte dich in Ruhe lassen. Er war nett zu mir, aber ich habe ihn verstanden. Er sprach davon, wie bestürzt du über unseren Abschied warst.«
Eine Minute verstrich. Nur ihr lautes Schluchzen und die Vögel waren zu hören. Er schüttelte sie. »Hör auf zu weinen, Madeleine. Wir müssen miteinander reden. Du musst mir erzählen, warum du unsere Tochter weggegeben hast.«
Gegen ihre Tränen ankämpfend berichtete sie ihm, was geschehen war. »Meine Mutter kümmerte sich um das Baby, vom ersten Tag an. Es war wohl unvermeidlich. Seit ich auf der Welt war, hatte sie sich nach einem zweiten Kind gesehnt, und ich war damals erst sechzehn. Wegen des Kindes kam es häufig zu Streit zwischen uns, und schließlich habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich litt an postnatalen Depressionen und fühlte mich in England sowieso völlig fehl am Platz. Ich vermisste meine Heimat. Deshalb beschloss ich, hierher zurückzukehren und einen neuen Start zu versuchen. Mikaela ließ ich bei meinen Eltern. Irgendwann zog mein Vater aus. Er hatte eine andere Frau gefunden, und meine Mutter erlitt einen Nervenzusammenbruch. Ich war gerade mit Gina in Mexiko unterwegs und hatte keine Ahnung, was los war. Mikaela wurde bei Pflegeeltern untergebracht. Ich erfuhr dann, dass sich mein Vater aus allem heraushielt und meine Mutter an Schizophrenie erkrankt war …«
Sie wollte ihn ansehen, schaffte es aber nicht. Wie konnte sie ihm verständlich machen, was sie getan hatte – warum sie es getan hatte?
»Als ich hörte, was passiert war, flog ich zurück nach Bath, aber die Leute vom Jugendamt erlaubten mir nicht, Mikaela zu sehen. Ich konnte verstehen, dass Mikaela Stabilität brauchte. Sie hatte Gott weiß was durchgemacht. Die Pflegeeltern stellten einen Adoptionsantrag. Am Ende haben alle so lange auf mich eingeredet, bis ich mürbe wurde. Mikaela war wirklich glücklich bei den Leuten, und ich hatte ohnehin das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben. Ich habe die Papiere unterschrieben, weil ich glaubte, dass ich es ihr schuldig war. Ich schuldete ihr eine richtige Familie.«
Es dauerte eine Weile, bis Forrest die Sprache wiederfand. Unterdessen ließ er ihre Schulter, die er fest mit der Hand umfasst hielt, nicht los.
»Ist es zu spät, Madeleine? Ist es zu spät, sie zurückzuholen?«
Sie brach zusammen, und er nahm sie in den Arm.
»Hätte ich doch nur davon gewusst.«
»Es ist zu spät, Forrest. Sie ist nicht mehr da.«
16. Kapitel
I ch habe die Arterie in seiner Leiste mit einer Rasierklinge durchtrennt. Es war ein winziger Einschnitt, ich habe es auf Anhieb geschafft«, erklärte Edmund mit einem Anflug von professionellem Stolz.
Er saß gegen die Wand gelehnt auf seiner Pritsche, die Knie angezogen. Da er während seiner Erkrankung stark abgenommen hatte, sah er ziemlich hinfällig aus und war so bleich wie ein Gespenst.
»Vorher hatte ich ihn bewusstlos geschlagen und an den Handgelenken an einen Balken gebunden. Dadurch hat er nicht unnötig gelitten. Für seine Frau ließ ich einen Zettel auf dem Küchenschrank liegen, nicht auf den Dachboden zu gehen, weil sie dort ihren toten Mann finden würde. Für den Fall, dass sie meine Nachricht aus irgendeinem Grund nicht las, hatte ich einen Eimer unter ihn gestellt. Dadurch wurde verhindert, dass das Blut durch die Decke sickerte und Flecken machte. Es hätte seine Frau zu Tode erschreckt.« Edmund zuckte mit den Schultern und sah Madeleine leise lächelnd an, als wären seine kleinen Konzessionen an die Rücksichtnahme ein Beweis für seine Gutmütigkeit.
Offenbar merkte er, dass er sie schwerlich überzeugt hatte, und fuhr eilig fort: »Die Ehe der beiden war sowieso nur noch eine Farce. Sie war in Italien mit ihrem Geliebten, und die Kinder ließen sich nie zu Hause blicken. Er schickte die Putzfrau fort, wenn seine Frau unterwegs war, um sich ungestört einen hinter die Binde gießen und Kinderpornos ansehen zu können.«
Madeleine stand an der Luke und sah auf Edmund Furie hinunter. Das Gespräch war ihre Schuld. Sie hatte vor einigen Wochen während eines dummen Streits mit dem Thema angefangen. In der Hitze des Gefechts hatte sie auf dieses spezielle Verbrechen angespielt, das sich von Edmunds anderen unterschied. Seine bevorzugte Methode war die Strangulation gewesen.
Da er fürchtete, dass sein Ende nahe war – es
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