Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
nicht?
Warum sonst befand sie sich auf dem Weg zum Gefängnis von Rookwood?
Sie ging von einem ihr unbekannten Beamten begleitet den Korridor hinunter. Der Mann sah sie von der Seite an, als würde er sie einer Musterung unterziehen.
»Haben Sie eine Frage?«, wollte sie verärgert wissen.
Er schüttelte den Kopf, blieb einen Schritt zurück und ließ sie vorangehen. Der Korridor hallte vom Echo ihrer Schritte wider.
Einen Moment später tönte es von hinten: »Doch, Miss, ich würde Sie tatsächlich gern etwas fragen.« Er legte einen Zahn zu, um sie einzuholen.
»Dann legen Sie los«, fauchte sie ihn an. »Passen Sie aber verdammt gut auf, dass es mit meinem Besuch hier zu tun hat.«
»Ja, hat es. Gehören Sie zu den Frauen, die hoffen, bei einem Gefangenen die wahre Liebe zu finden? Sie müssen wissen, meine Freundin studiert Psychologie. Ich meine, Sie sind doch Amerikanerin, richtig? Sie hat mir von den Frauen erzählt, die da drüben Kerle kennenlernen wollen, die in der Todeszelle sitzen und …«
Madeleine blieb wie angewurzelt stehen. »Nun sagen Sie mir aber bitte, dass Sie sich einen Witz erlaubt haben.«
Er reagierte mit einem entwaffnenden Schulterzucken. »Nun ja, Sie sehen zu gut aus, um … Vermutlich habe ich mich nur gefragt, warum sich eine Frau mit jemandem abgibt, der Leute erdrosselt hat. Ob sein Verbrechen besonders faszinierend ist oder …«
»Hören Sie, ganz unter uns …« Madeleine marschierte nun mit einem Tempo, dass der junge Mann fast rennen musste, um Schritt zu halten. »Es ist nicht das Erwürgen, das mir einen Kick gibt, sondern das andere, Sie wissen schon, das Blut. Sind Sie nun zufrieden? Dann öffnen Sie die Tür und bleiben mir vom Leib, sonst erstatte ich Meldung wegen Belästigung.«
Er schloss die große Metalltür auf, die zum Gang der Kapitalverbrecher führte. Die meisten Gefangenen hielten sich in ihren Zellen auf, und Madeleine war erleichtert, dass der Typ, der immer hinter ihr herrief, seine Luke geschlossen hatte.
»Ich muss aber an dieser Tür warten, Miss. Befehl des Direktors. Tut mir leid«, sagte der Beamte von oben herab.
»Dann bleiben Sie auf der anderen Seite. Ersparen Sie mir Ihr Gesicht.« Sie schenkte ihm ein eisiges Lächeln. »Verstanden, Freundchen?«
Madeleine ging den Gang hinunter. Vor Edmunds Tür holte sie tief Luft. Sie hatte Erlaubnis erhalten, ihn außerhalb ihrer üblichen Besuchszeit zu sehen. Als Vorwand hatte sie angegeben, sie wolle spontan zwei Wochen in Urlaub fahren. Hoffentlich hatte man Edmund benachrichtigt, dass sie kam. Er hasste es, wenn er sich nicht auf ihr Kommen einstellen konnte. Als sie leicht an die Tür klopfte, merkte sie, dass er auf sie gewartet haben musste, denn er gab ihr sofort das Zeichen, und sie öffnete seine Luke. Der Blick, mit dem er sie empfing, war eisig.
»Wem oder was verdanke ich diesen Besuch außer der Reihe?«, höhnte er. »Vergangene Wochen waren Sie wohl zu beschäftigt, um sich hierher zu begeben. Wie heißt er?«
»Würde ich es je wagen?«, antwortete sie und verdrehte die Augen. »Ich habe Ihnen doch eine Nachricht geschickt, werter Freund. Wenn es Sie interessiert, der vergangene Freitag war die reinste Hölle. Meine Mutter war in einen Zustand völliger Teilnahmslosigkeit gefallen, und man wollte ihr Gehirn mit Elektroschocks schmoren. Sie wissen mit Sicherheit, was das bedeutet. Haben Sie nicht einmal erwähnt, dass Sie eine solche Behandlung über sich ergehen lassen mussten?«
Er wurde ein wenig zugänglicher. »Ich war schrecklich unruhig ohne Sie. Ich hätte jemanden strangulieren können, aus reiner Lust und ohne Bezahlung.« Er unterbrach sich, betrachtete sie scharf, und seine grauen Augen strahlten sie an. »Die Brosche, Madeleine. Sie haben sie gefunden.« Ein breites Lächeln zeigte seine doppelte Zahnreihe im Unterkiefer.
»Ja, ich habe sie gefunden.« Und Sie sehen erheblich besser aus, stellte sie in Gedanken fest.
»Es bedeutet, dass Sie doch zu mir gehören.«
»Ich gehöre niemandem, Edmund, und leider könnte es heute das letzte Mal sein, dass ich Sie besuche.«
Das Lächeln erstarb auf seinen Lippen, und sein Gesicht wurde steif wie eine Maske. Doch als er sie erneut ansah, begriff er, dass ihr Besuch einen ernsten Grund haben musste. Sie rückte näher an die Luke, um zu vermeiden, dass jemand ihre Worte hörte. Man hatte ihr versichert, die Besuche würden vertraulich behandelt und es gäbe keine Wanzen, aber das Glasauge der Überwachungskamera im
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