Erebos
holte Kleingeld, ihren iPod und einen Zettel aus ihrer Umhängetasche.
»Wozu der iPod?«
»Ich muss das Gespräch aufzeichnen. Und hochladen. Als ob es nicht schon so schlimm genug wäre.«
Nick sah ihr zu, wie sie wählte, dabei eine verzweifelte Grimasse schnitt, den iPod einschaltete und an den Hörer hielt. Kaum, dass ein Freizeichen ertönte, schloss sie die Augen. Nick hörte, wie sich am anderen Ende jemand meldete.
»Es ist nicht vorbei«, sagte Emily mit Grabesstimme. »Sie werden keine Ruhe mehr finden. Er hat nichts vergessen. Er hat nichts verziehen. Sie kommen nicht ungeschoren davon.«
»Wer ist da?«, hörte Nick einen Mann am anderen Ende der Leitung brüllen. »Ich hetze euch allen die Polizei auf den Hals, ihr verfluchten Kriminellen!« Dann kam nichts mehr, außer einem leisen »Verflucht« und dem Besetztzeichen. Emily hängte mit zitternder Hand den Hörer in die Gabel.
»Ich glaube, mir ist schlecht«, sagte sie trocken. »Was für ein kranker Mist. Ich mache so was nie wieder. Und jetzt brauche ich Kaffee.«
Sie fanden eine ruhige Ecke im Starbucks in der Pentonville Road. Emily bestellte sich einen doppelten Cappuccino mit extra Espresso-Shot. Nick tat es ihr nach, nahm noch zwei Schoko-Chip-Muffins dazu und war über die Maßen glücklich darüber, dass sie sich von ihm einladen ließ.
»Woher kennst du Victor?«, fragte er, nachdem sie die Hälfte ihrer Muffins gegessen hatten und in ihre Tassen pusteten, weil der Kaffee immer noch brühend heiß war.
»Er war ein Freund von Jack.« Sie lächelte versonnen. »Victor sagt natürlich, er ist ein Freund von Jack, so ein bisschen Ertrinken könne einer echten Freundschaft nichts anhaben.«
Noch bevor er wirklich wusste, was er tat, legte Nick seine Hand auf Emilys. Sie zog sie nicht weg, im Gegenteil, sie verschränkte ihre Finger mit seinen.
»Victor hat mir sehr geholfen. Er hat mich als kleine Schwester adoptiert.«
»Er ist großartig«, sagte Nick aus ganzem Herzen. Mehr brachte er nicht heraus, er hatte das Gefühl, dass er jede Sekunde abheben und schweben würde. Um seine Verlegenheit zu überspielen, nippte er an seinem Kaffee, der endlich eine trinkbare Temperatur erreicht hatte.
»Wir werden Ärger mit Kate kriegen«, stellte er dann fest. »Wir stopfen uns mit Muffins voll und sie backt gerade Pizza.«
»Ich kann Muffins und Pizza durcheinanderessen«, sagte Emily. »Victor übrigens auch. Keine Sorge. Aber wir sollten uns trotzdem bald auf den Rückweg machen. Erstens ist das um diese Zeit keine vertrauenerweckende Gegend und zweitens will ich die Telefonnummer meines Opfers bei Google eingeben.«
Draußen nahm Emily wie ganz selbstverständlich Nicks Hand. Die Gegend war wirklich ungeeignet für romantische Spaziergänge, aber wenn es nach Nick gegangen wäre, hätte dieser die ganze Nacht lang dauern können.
Es waren nur noch Pizzafragmente übrig, als sie wieder in Victors Wohnung eintrafen.
Kate hob in einer entschuldigenden Geste die Arme. »Victor. Er sagt, ein Genie braucht Nahrung. Viel Nahrung. Eine halbe Pizza ist noch übrig. Nudeln könnte ich euch auch noch kochen.«
Sie winkten ab, nahmen den Pizzarest und öffneten eine Dose Erdnüsse. Das Sofa mit den Rosen und den Schiffen war auf einmal der schönste Platz der Welt. Nick öffnete das Notebook und tippte die Nummer, die Emily ihm diktierte, in die Suchmaschine ein.
»Kein Treffer. Leider.«
»Ich habe fast damit gerechnet«, sagte Emily. »Ist vermutlich eine Geheimnummer. Zu dumm, dass er sich nicht mit Namen gemeldet hat, sondern nur mit ›Hallo‹.«
Das Wort ›geheim‹ brachte in Nick eine Saite zum Schwingen – da war etwas, dass er Emily sagen musste. Jetzt.
Hoffentlich würde sich das Lächeln auf ihrem Gesicht nicht gleich verflüchtigen. »Ich wollte dir etwas gestehen. Ich lese schon seit ein paar Monaten deine Blogeinträge bei deviantart. Deine Gedichte auch. Die sind wunderschön, genauso wie deine Zeichnungen.«
Sie schnappte nach Luft. »Woher weißt du, dass es mein Account ist?«
»Es hat sich mal jemand verplappert. Sei bitte nicht sauer. Es muss dir echt nicht peinlich sein.«
Sie sah zur Seite. »Schade.«
»Wieso schade?«
»Weil ich dir die Sachen gern selbst gezeigt hätte. Irgendwann mal.« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und gähnte. Nick, der vor lauter Erleichterung innerlich tanzte, merkte erst jetzt, dass Victor in der Tür stand.
»Rund ums Lagerfeuer ist gerade Gruppenkuscheln«, sagte er.
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