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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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leider nicht mehr erlebt. Spannende Sache, du wirst sehen!«
    »Ausgezeichnet. Sicherlich musstest du dich dafür auch anmelden, hm? Sag mir doch mal, bei wem.«
    Victor liebte Rätselspielchen, keine Frage.
    »Das zweite Mal direkt in der Arena, beim Zeremonienmeister. Das erste Mal bei irgendeinem Soldaten in Atropos’ Taverne.«
    Victors Grinsen wich einem drollig-fassungslosen Gesichtsausdruck. »Sagtest du Atropos?«
    »Ja. Und?«
    »Wo soll das nur hinführen«, rief Victor in gespielter Verzweiflung. »Die Kinder lernen in der Schule rein gar nichts mehr! Sag mir wenigstens, ob dir an diesem Zeremonienmeister etwas aufgefallen ist.«
    »Er hat nicht ins Spiel gepasst. Hat nicht ausgesehen wie die anderen Figuren, sondern … falsch, irgendwie. Ich hab ihn immer ›das große Glotzauge‹ genannt.«
    Victor amüsierte sich königlich. »Sehr schön, sehr passend. Aber es ist dir nicht bekannt vorgekommen, das Glotzauge?« Er riss seine eigenen Augen auf und versuchte, den Gesichtsausdruck nachzuahmen.
    »Nein. Sorry.«
    »Dann schau mal her.«
    Victor tippte eine Adresse in den Browser und die Homepage der Vatikanischen Museen öffnete sich. Zwei weitere Klicks und er drehte das Notebook so, dass Nick den Bildschirm besser sehen konnte.
    »Hier hast du dein Glotzauge. Von Michelangelo persönlich gemalt.«
    Es dauerte ein paar Momente, bis Nick sich zurechtgefunden hatte. Was Victor ihm hier zeigte, war ein riesiges Gemälde, auf dem sich Hunderte Figuren tummelten. In der Mitte waren Jesus und Maria, rundum auf diversen Wolken saßen und standen halb nackte Menschen. Weiter unten bliesen ein paar Engel auf ihren Posaunen und andere Engel zerrten Menschen vom Boden gen Himmel. Am unteren Bildrand krümmten sich Gestalten im Schlamm und da, ein Stück rechts der Mitte … da war er. Der Zeremonienmeister, exakt so, wie Nick ihn aus Erebos kannte. Nackt bis auf den Lendenschurz, mit den seltsamen Haarbüscheln auf dem Kopf und dem langen Stock, den er hier gerade schwang, als wolle er die Menschen schlagen, die in seinem Boot saßen.
    »Ja, das ist er!«, rief Nick aufgeregt.
    »Weißt du auch, wie er heißt?«
    »Nein.«
    Victor richtete sich auf und machte ein wichtiges Gesicht.
    »Das ist Charon. Der Fährmann, der in der griechischen Mythologie die Toten mit seinem Boot über den Fluss Styx ins Totenreich bringt.«
    Nick sah sich das Bild genauer an und schauderte unwillkürlich. Hier prügelte Charon die Toten eher über den Fluss.
    »Erwähnenswert sind vielleicht auch die Eltern deines großen Glotzauges. Charon ist der Sohn von Nyx, der Göttin der Nacht … und von Erebos.«
    Nick schwirrte der Kopf. »Und was bedeutet das alles?«
    »Schwer zu sagen. Aber vielleicht kommen wir der Sache näher, wenn wir uns den Titel von Michelangelos Meisterwerk ansehen. Schau!« Er wies mit dem Mauszeiger auf die Worte unterhalb des Fotos.
     
    Michelangelo Buonarotti
    Das jüngste Gericht
    Sixtinische Kapelle
     
    »Beim jüngsten Gericht trennt Gott die Erlösten von den Verdammten«, sagte Victor. »Kein besonders schöner Anblick. Und ich frage mich, ob das Spiel nicht etwas Ähnliches tut. Eine Auswahl treffen. Warum sollte es sonst so gnadenlos alle eliminieren, die bei ihren Aufgaben versagen?«
    »Ist das nicht ein wenig verrückt?«
    Victor vergrößerte mit ein paar Mausklicks das Bild derart, dass sie Charons Gesichtszüge im Detail sehen konnten. »Verrückt möglicherweise. Aber vor allem ist es bis ins letzte Detail durchdacht. Was hast du vorhin noch mal gesagt? Der Laden, in dem du dich für die Arenaschlägerei registriert hast, hieß Atropos’ Taverne?«
    »Eigentlich hieß sie ›Zum letzten Schnitt‹«, präzisierte Nick.
    »Oh, mein Junge, mein armer blinder Junge!«, rief Victor theatralisch und tippte erneut etwas ein. »Schau her: Atropos ist eine der drei Moiren, der griechischen Schicksalsgöttinnen. Sie ist die älteste und die unerfreulichste, ihre Aufgabe ist es nämlich, den Lebensfaden der Menschen durchzuschneiden. Der letzte Schnitt.« Mit einem Seufzen klappte Victor das Notebook zu. »Das Spiel gibt uns ganz deutliche Hinweise. Der Programmierer hat eine große Schwäche für die griechische Mythologie. Das ist das eine. Jedes der Symbole, die er verwendet, hat mit Verderben und Tod zu tun. Das ist das andere. In Kombination mit der Genialität des Programms und dem Suchtfaktor, den es ausübt – ei, ei, ei. Ein Fass Dynamit unterm Hintern würde mich weniger

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