Erfindergeist
Notars, erbrach das Siegel und schlitzte das Kuvert auf. Es lag nur ein einziges Blatt darin. Ich las:
›Lieber Reiner,
wenn du diesen Brief liest, gibt es mich nicht mehr. Es könnte sein, dass ich eines natürlichen Todes gestorben bin. Wenn du allerdings den kleinsten Verdacht haben solltest, dass dem nicht so ist, wurde ich wahrscheinlich ermordet. Ich kann dir leider keinen genaueren Hinweis darauf geben, wie man mich eventuell zu töten gedenkt. Geplant wurde es, das weiß ich sicher. Du musst Folgendes wissen: Ich bin, entschuldige, ich war einer epochalen Entdeckung auf der Spur, die einige mächtige Gruppierungen um jeden Preis verhindern wollen. Ich weiß nicht, wer dahinter steckt, nur, dass diese Leute sehr einflussreich und gewaltbereit sind. Vielleicht hat der Verein ›Solarenergie forever e. V.‹ etwas damit zu tun, ich bin mir aber nicht sicher. Lass dich nicht unterkriegen, dieses Mal brauche ich dich wirklich!
Dein Jacques‹
Ich starrte fassungslos auf das Papier. Selbst nach dem zweiten Lesen verstand ich es nicht. Warum war der Brief so kurz, warum hatte Jacques nichts Näheres zu seiner ›epochalen Entdeckung‹ geschrieben? War es so prekär, dass er dies nicht einmal dem Notar anzuvertrauen gedachte?
Fragen über Fragen, und ich kam keinen Schritt weiter.
Der Notar saß ganz still da und schlürfte den Tee, den ihm seine Mutter zwischenzeitlich gebracht hatte.
»Herr Thorstetter, können Sie mir sagen, warum mein Bekannter diesen Brief gerade bei Ihnen hinterlegt hat? Wissen Sie irgendetwas über den Inhalt?«
Der Notar überlegte eine Weile, bevor er sich zu einer Antwort durchringen konnte. »In Ordnung, ich werde es Ihnen sagen. Es handelt sich schließlich um kein Geheimnis. Jacques Bosco war ein Klassenkamerad von mir. Das ist natürlich bereits eine halbe Ewigkeit her, und wir hatten seit damals keinen Kontakt mehr, bis wir uns viele Jahre später wieder auf einem Klassentreffen begegneten. Danach schlief unser Kontakt erneut ein, bis er vor drei Wochen plötzlich in meinem Notariat auftauchte.«
»Erst vor drei Wochen?«, unterbrach ich ihn erstaunt.
Er nickte.
»Und seit dem Klassentreffen haben Sie nichts weiter von ihm gehört?«
»Nein, überhaupt nichts. Als er hier erschien, war er ziemlich einsilbig. Er wollte lediglich das Kuvert bei mir in sicheren Händen wissen. Ich fragte ihn, ob dies sein Testament sei und bot ihm an, es beim Amtsgericht zu hinterlegen. Doch das lehnte er ab. Das Gericht schien ihm zu unsicher zu sein. Hier bei mir sei das Kuvert am besten aufgehoben, meinte er nur.« Herr Thorstetter atmete tief durch und trank einen weiteren Schluck aus seiner Teetasse. »Woher sollte ich ahnen, dass er nur noch ein paar Tage zu leben hatte? Das kommt mir alles sehr außergewöhnlich vor, auch wenn ich sagen muss, dass ich in meinen langen Berufsjahren schon das eine oder andere skurrile Erlebnis hatte.«
»In den letzten drei Wochen hat sich Jacques nicht mehr bei Ihnen gemeldet?«
»Nein, überhaupt nicht. Nur einmal, da hat jemand angeblich in seinem Namen angerufen.«
Ich wurde hellhörig. Warum musste man manchen Menschen alle Informationen aus der Nase ziehen? »Können Sie sich erinnern, wer das war?«
Der Notar überlegte. »Der Name fällt mir nicht mehr ein, er war in jedem Fall außergewöhnlich. Er sagte, er rufe von einem Erfinderverband an, und sein Kollege Jacques hätte ihn beauftragt, etwas abzuholen, das er bei mir deponiert hat.«
»Was haben Sie daraufhin gesagt?«
»Ich bin Notar, Herr Palzki! Dieser Mann wusste ja nicht einmal, um welchen Gegenstand es sich dabei handelte. Ich habe natürlich sämtliche Auskünfte verweigert.«
»Damit hat sich der Anrufer zufriedengegeben?«
»Was blieb ihm auch übrig?«, antwortete Herr Thorstetter selbstsicher. »Von mir erfuhr der nichts.«
»Ansonsten hat sich in den letzten drei Wochen nichts ereignet?«
»Sie meinen, hier bei mir? Nein, außer dem Einbruch letzte Woche war nichts.«
»Was für ein Einbruch?« Ich sprang erregt vom Stuhl auf.
Herr Thorstetter war über meine heftige Reaktion erstaunt. So schnell hatte sich in seinem Notariat wahrscheinlich schon lange keiner mehr bewegt. Ruhig antwortete er: »Jemand ist nachts in unser Haus eingestiegen. Die Polizei meinte, es seien wohl Gelegenheitsdiebe gewesen und haben mir empfohlen, die Fenster im Erdgeschoss vergittern zu lassen.«
»Wurde etwas gestohlen?«, hakte ich zur Sicherheit nach.
»Nein.« Er schüttelte so
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