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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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der Gäste hat einen Treffer abgekriegt.«
    »Wie schlimm?«, fragt Tossavainen.
    »Ziemlich schlimm«, meint Kokkonen, »mitten in die Brust. Er wird wohl nicht durchkommen.«
    »Verdammt, verdammt, verdammt!«, flucht Tossavainen. »Was sollen wir tun?«
    »Das Gebiet muss besser abgeriegelt werden. Ständig kommen Neugierige an, bald stehen sie direkt auf dem Hof und glotzen. Geht auf die Rückseite der Fünf und sichert die Zone ab. Dann sehen wir weiter. Wir müssen schnell handeln, bevor noch mehr passiert.«
    Tossavainen sieht Olli an. Schätzt seine Tauglichkeit in einer so schwierigen Lage ab. Will etwas zu Kokkonen sagen, tut es dann aber doch nicht. Olli versteht seine Überlegungen. Tossavainen macht sich Sorgen, ein gutes Zeichen. Dennoch hat er Ollis Unerfahrenheit nicht erwähnt, nicht um Sonderbehandlung gebeten. Olli freut sich darüber.
    Das Gebüsch hinter dem Haus in der Honkasaarenkatu Nummer fünf wird immer dichter, schließlich ist es fast unmöglich, weiter vorzudringen. Ein Schuss. Olli kauert sich ins Gebüsch. Ein zweiter Schuss, dann ein dritter. Unter Ollis Helm strömt der Schweiß, obwohl es kühl ist.
    »Schlag du einen Bogen um das Gestrüpp«, befiehlt Tossavainen. »Ich geh hier weiter. Sonst müssen wir hintereinander laufen wie die Ferkel.«
    Olli zögert einen Moment, weil er nicht recht weiß, wohin er gehen soll, oder auch nur wie. Er muss sich beeilen, um den Blickkontakt zu Tossavainen nicht zu verlieren.
    Es ist Zeit, die Waffe zu ziehen. Zum ersten Mal in einer echten Situation. Im selben Moment fliegt ein Spatz auf.
     

    Die erste Unterrichtsstunde auf dem Schießstand der Polizeischule. Aushändigung der Dienstwaffe.
    Die Waffe fühlte sich gut an, sie schmiegte sich in Ollis Hand. Als wäre sie ein Teil seines Körpers. Eine Glock 17, halbautomatisch, siebzehn Patronen im Magazin, eine im Patronenlager. Sie gab ihm ein Gefühl der Stärke. Zum ersten Mal laden, zielen.
    Und da war er wieder, der Spatz.
    Als Olli ein Kind war, bekam einer seiner Freunde ein Luftgewehr mit Zielfernrohr. Das war ungemein interessant. Man musste auf etwas schießen, egal auf was, und irgendwann war auch Olli an der Reihe. Das Fadenkreuz suchte hektisch nach einem Ziel. Da flackerte etwas durch das Visier, verschwand, kam wieder zurück – ein Vogel, ein Spatz, der im Heidekraut nach Futter pickte. Da war es, das Ziel.
    Die Freunde jubelten. Olli packte die Waffe fester, fühlte sich eins werden mit dem Holzstutzen und dem kalten Stahl. Zielte sorgfältig. So sorgfältig, dass die anderen sich besannen, die Tat schon im Voraus bereuten. Einer von ihnen griff nach dem Lauf – schieß nicht! Doch es war zu spät. Der Spatzenkopf sackte weg, eine Feder schwebte zitternd über dem auf die Erde geschleuderten Vogel. Olli triumphierte. Der erste Schuss seines Lebens und sofort ein Volltreffer. Die Haltung seiner Freunde war zwiespältig.
    Sie liefen zu der Beute, Olli an der Spitze. Plötzlich haute er Olli um. Der Tod. Wie mit einer riesigen Faust. Olli hatte getötet, hatte einem Geschöpf der Natur das Leben genommen. Die plötzliche Erkenntnis schockte ihn. Besonders schlimm war es, sich anzusehen, was er angerichtet hatte. Der kleine, leblose Körper auf der Moosbülte, wie auf einer eigens für ihn geschaffenen Bahre. Winzige Blutstropfen, die über die Federn rannen, über den hängenden Kopf. Zuerst war Olli verwirrt, dann war ihm zum Heulen, aber weinen konnte er erst am Abend. Allein, im Dunkeln, unter der Bettdecke.
    Der Vogel wurde feierlich bestattet, als könne man ihn damit um Verzeihung bitten. Aber das half nichts. Der Spatz fand keinen Frieden, er flog immer weiter. Sobald Olli die Augen schloss, kam er angeflogen, erst nach Jahren blieb er immer häufiger aus.
    Bei den ersten Schüssen auf dem Schießstand zielte Olli absichtlich daneben. Er konnte nicht anders. Der Spatz war zurückgekehrt, er flog wieder.
     

    Olli lädt seine Waffe, die Patrone gleitet ins Lager. Sein Helm schaukelt beim Laufen. Er hätte den Kinnriemen fester zurren müssen. Als sich der Rand des Gebüschs abzeichnet, biegt er nach rechts ab. Die Rückseite des Hauses wird sichtbar. Seit einiger Zeit waren keine Schüsse mehr zu hören – nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Olli lauscht auf Tossavainens Schritte, hört aber nichts, weil der Helm beim Laufen rappelt. Da tritt er in eine Vertiefung, kommt ins Schwanken. Seine Zähne schlagen schmerzhaft aufeinander, der Helm rutscht ihm vor die Augen. Ein

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