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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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es weder Kälte noch Hunger gibt. Dort gibt es kein Unzulänglichkeitsgefühl und keine Leere. Zu Hause wäre alles anders.
    Olli holt sein Handy aus der Brusttasche. Er hat es schon vor langer Zeit ausgeschaltet. Nun schaltet er es wieder ein, tippt den PIN-Code ein und schaut zu Tossavainen, der vor dem Wagen auf und ab trabt.
    Es hat den Anschein, dass Tossavainen sich in seiner persönlichen Hölle windet. Diese Hölle hat eine Vorsilbe namens Nikotin. Der Stoff, nach dem Tossavainens Körper gerade jetzt mit aller Macht verlangt. Wer sich mehr als zwanzig Jahre lang eingeräuchert hat, dem sitzt die Sucht vermutlich im Erbgut.
    Olli schaltet das Handy wieder aus. Er wagt nicht, zu Hause anzurufen, denn er fürchtet sich vor der Sehnsucht. Sehnsucht nach Annas Umarmung. Sehnsucht nach Eetus Atem auf seiner Haut. Danach, dass Eetu auf seiner Brust einschläft. Sehnsucht nach Ruhe und Erfüllung. Diese Sehnsucht könnte sich als übermächtig erweisen, deshalb muss er sie vermeiden, denn er hat nicht die Absicht, klein beizugeben, selbst wenn sein vor dem Auto herumtigernder Betreuer offenbar genau das vorhat.
    Im selben Moment kehrt Tossavainen zum Wagen zurück, reißt die Tür auf und fixiert Olli.
    »Mir ist gerade ein Gedanke gekommen, der dir nicht gefallen wird«, brummt er, nachdem er sich ans Steuer gesetzt hat. »Bloß so eine Idee, weiter nichts.« Er sieht Olli an, als bitte er ihn um Erlaubnis, und fährt dann fort: »Hast du mal genauer darüber nachgedacht, wer letzten Endes am ehesten als Täter infrage kommt?«
    Olli ist völlig verblüfft. Seiner Meinung nach sind sie dem Täter kein einziges Mal so nahe gekommen, dass sie Vermutungen über seine Identität anstellen könnten. Vor Verwunderung ist er nicht einmal fähig, die Frage zu verneinen.
    »Wer würde am besten passen? Guck dir die Sache mal aus einer größeren Perspektive an. Oder eigentlich aus einer näheren«, fordert Tossavainen Olli mit bedeutungsvollem Blick auf. »Wer hat den Fall in Gang gebracht? Wer war letzten Endes zu gut informiert? Wer hat als Erster von Terrorismus gesprochen, von taktischer Gewalt? Wie konnte er das damals schon erkennen? Wer hat ein wenig überraschend die Fotos in dem alten Haus gefunden? Woher kannte er den Weg und warum ist er überhaupt dahin gekommen?«
    Eine lähmende Welle spült mit solcher Kraft über Olli hinweg, dass er kaum Luft bekommt. Alle Fragen, die Tossavainen ihm gestellt hat, fordern dieselbe Antwort, und diese Antwort ist unerträglich, zugleich aber einleuchtend und logisch. Er fühlt Übelkeit aufsteigen, ihm ist schwindlig und unbehaglich.
    Tossavainen bereut längst, dass er die Sache so unvermittelt zur Sprache gebracht hat. »Reg dich nicht auf«, sagt er beschwichtigend. »Wir wissen es ja noch nicht sicher.«
    Olli legt die Hand vor den Mund und wartet darauf, dass die Übelkeit vergeht. Nach einigen Atemzügen normalisiert sich sein Organismus allmählich wieder. Der rasende Puls verlangsamt sich, das Schwindelgefühl nimmt ab.
    Olli wirft einen raschen Blick auf Tossavainens besorgtes Gesicht. »Auf die Idee bin ich nie gekommen«, sagt er und schluckt schwer. »Aber der Mann auf den Fotos sieht ihm doch gar nicht ähnlich.«
    »Bei so unscharfen Aufnahmen können wir ihn nicht mit Sicherheit ausschließen«, meint Tossavainen. »Außerdem könnte er im Kaufhaus einen Strohmann eingesetzt haben, der für Geld da herumspaziert ist. Alles ist möglich.«
     

    Das kleine Bleiglasfenster neben der Haustür gibt unter dem heftigen Schlag nach, zerspringt aber nicht ganz. Olli hilft mit dem Griff seiner Taschenlampe nach, bis das Loch groß genug ist, um den Arm durchzuschieben.
    Die Tür springt auf und Olli späht in das Haus. Nachdem er eine Weile gelauscht hat, geht er hinein, wobei er wachsam auf eventuelle Lebenszeichen achtet. Tossavainen, der ihm folgt, lässt die Tür angelehnt. In diesem Fall ist das vielleicht nicht nötig, doch er tut es aus alter Gewohnheit: Man muss sich immer einen Fluchtweg offen halten.
    Keine Lebenszeichen. In dem Haus scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Es ist sauber und unberührt, makellos und repräsentativ, wie ein Miniaturmodell in einer Flasche. Olli bleibt in dem geräumigen Wohnzimmer, während Tossavainen einige Treppenstufen höher auf der Küchenebene steht und ihm Zeit lässt, sich in die neue Situation hineinzufinden.
    Olli glaubt, die Anwesenheit des Vaters zu spüren. Er glaubt, seinen Geruch wahrzunehmen oder genauer

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