Erfüllen Sie meinen Herzenswunsch, Mylord!
kommt etwas kurzfristig“, entschuldigte sich der Reverend. „Der Captain ist ein viel beschäftigter Mann. Er traf erst heute früh aus London ein und wird morgen schon wieder abreisen. Soll ich Sie nach ‚The Crow’s Nest‘ begleiten?“
„Nein, das ist nicht nötig“, erwiderte Charlotte. „Außerdem wäre es sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie mich in der Schule vertreten könnten.“
Mr. Fuller reichte ihr zum Abschied die Hand. „Natürlich, Mrs. Hobart. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“
Captain Alexander MacArthur war ein Mann mit derben Zügen, der zuzeiten schroff werden konnte, meist jedoch überaus herzlich und zuvorkommend war. Dichtes, schneeweißes Haar rahmte sein Gesicht, das durch Wind und Sonne gegerbt war. Er war nicht mehr der Jüngste, hatte sich indes eine gewisse jungenhafte Art bewahrt und begrüßte Charlotte mit einem verschmitzten Lächeln.
„Treten Sie ein, Madam“, forderte er sie auf, ergriff ihre Hand und verneigte sich galant. „Bitte entschuldigen Sie die Unordnung in meinem Haus.“ Er deutete auf die im Entree herumstehenden Koffer und Kisten und nickte seinem Butler zu. „Coppins, bringen Sie uns bitte Tee in den Salon.“
Wie sich herausstellte, hatte der Captain ihren Vater gekannt, der ebenfalls bei der Marine gewesen war, und er versicherte Charlotte, er habe große Stücke auf ihn gehalten. Auch aus diesem Grund sei er bereit, ihr das Haus für etwa ein Jahr zu überlassen. Lediglich ihren Plan, eine Schule zu gründen, müsse sie ihm genauer erklären. Charlotte gab sich die größte Mühe, seine Bedenken zu zerstreuen, und ging sogar so weit zu behaupten, sie pflege gute Beziehungen zu den besten Familien der Umgebung, und eine Schülerin habe sich bereits angemeldet, die Tochter von Viscount Darton. Sie konnte nur hoffen, dass Seine Lordschaft ihr diese Notlüge nicht verübeln würde.
Nach dem Tee besichtigten sie und der Captain gemeinsam das Haus. In einem der Zimmer im ersten Stock trat Charlotte ans Fenster und stellte erstaunt fest, dass man von hier aus die Schornsteine von Easterley Manor sehen konnte. Und durch das Fenster im Raum nebenan hatte man eine herrliche Aussicht auf die Bucht, in der ein paar Fischerboote ihre Netze ausgeworfen hatten.
„Ich beginne zu verstehen, weshalb Sie Ihr Anwesen ‚The Crow’s Nest‘ – Krähennest – genannt haben“, schwärmte Charlotte mit glänzenden Augen.
„Oh, wenn Ihnen der Blick von hier oben so gut gefällt, werde ich Sie noch auf die Turmplattform führen. Wären Sie interessiert?“
„Und ob.“
Charlotte folgte dem Captain die steile, enge Wendeltreppe hinauf. Sie musste ihre Röcke raffen und auf jede Stufe achten, um nicht zu stolpern. Schließlich gelangten sie auf die gut gesicherte Plattform unterhalb der Turmspitze. Der Captain winkte sie zu einem kleinen Fernrohr und forderte sie auf, hindurchzuschauen. Charlotte war erstaunt, wie deutlich man sogar meilenweit entfernte Dinge erkennen konnte. Und wie der Zufall es wollte, entdeckte sie nach einem leichten Schwenk des Fernrohrs plötzlich, dass es sich bei den drei Spaziergängern, die am Strand entlangliefen und vorher winzig gewirkt hatten, um Cecil, Mr. Spike und Sir Roland handelte. „Es ist verblüffend, wie genau man selbst kleinste Einzelheiten sehen kann. Sie müssen schlechterdings über alles Bescheid wissen, was sich in der Nähe der Bucht abspielt, Captain.“
„Das tue ich – sofern ich zu Hause bin, was selten der Fall ist. Aber ich muss Sie warnen. Wenn Sie sich für das Haus entscheiden, steht Ihnen diese Aussichtsplattform leider nicht zur Verfügung. Ich möchte nicht, dass hier oben irgendjemand herumläuft. Das Fernrohr ist sehr empfindlich und kostet ein Vermögen.“
„Natürlich. Ich verstehe.“
„Dann lassen Sie uns nach unten gehen und unsere Vereinbarung besiegeln.“
Nachdem sie sich einig geworden waren, wagte Charlotte, ihrem Gastgeber die für sie wichtigste Frage zu stellen. „Wann kann ich einziehen, Captain?“
MacArthur lächelte. Er war über die Geschehnisse in Easterley Manor informiert und verstand, dass sie es eilig hatte mit dem Umzug. „Wann immer Sie möchten, Mrs. Hobart. Ich verlasse Parson’s End morgen früh. Ich werde beim Pfarrhaus vorbeifahren und die Schlüssel dort für Sie hinterlegen.“
„Das wäre wunderbar. Ich bin ohnehin jeden Tag im Dorf, um die Kinder zu unterrichten.“
Überglücklich verabschiedete sie sich und dankte dem Captain für sein Vertrauen.
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