Erinnerung Des Herzens
einen Unfall gehabt.
Er dachte nicht besonders gern an diese Dinge, aber ihm war klar, dass seine Mutter wieder mit ihm darüber sprechen wollte.
Sie hielt immer noch seine Hand fest. Sehr fest. Und sie blickte hinaus in die Dunkelheit, wo man gerade noch den weißen Schaum sehen konnte, der von den Wellen an den Strand gespült wurde. Im Haus waren die Fenster erleuchtet, deshalb konnte er ihr Gesicht erkennen und sehen, wie der Wind das lange blaue Kleid bewegte, das sie trug.
Brandon sprach als erster. »Sie war eine nette Dame«, sagte er. »Sie hat oft mit mir gesprochen und mich nach der Schule und allem möglichen gefragt. Und sie hat gelacht, wenn ich beim Aufschlag Unsinn gemacht habe. Es tut mir leid, dass sie sterben musste.«
»Oh, Brandon, mir auch.« Sie holte tief Luft. »Sie war eine sehr bedeutende Persönlichkeit, und du wirst viel über sie hören, in der Schule, im Fernsehen, in den Zeitungen.«
»Sie behaupten, sie wäre eine Göttin gewesen, aber sie war doch eine richtige Person.«
»Ja, das war sie. Richtige Menschen machen alles mögliche, sie treffen Entscheidungen, machen Fehler, verlieben sich.«
Er ruckte hin und her. Sie wusste, dass er in einem Alter war, wo er sich unbehaglich fühlte, wenn von Liebe die Rede war. Normalerweise hätte sie darüber lächeln müssen. »Eve hat sich vor langer Zeit verliebt und bekam ein Baby. Aber sie konnte den Mann, den sie liebte, nicht heiraten. Deshalb hat sie etwas getan, was sie für das Baby am besten hielt. Es gibt viele gute Menschen, die keine eigenen Kinder haben können.«
»Sie adoptieren welche, so wie Großmama und Großpapa dich.«
»Genau. Ich habe deine Großeltern geliebt, und sie haben mich geliebt. Und dich.« Sie wandte sich um und kniete sich vor ihm hin, um sein Gesicht in ihre Hände zu nehmen.
»Erst vor einigen Tagen habe ich herausgefunden, dass ich das Baby gewesen bin, das Eve fortgegeben hat.«
Er fuhr nicht entsetzt zusammen, sondern schüttelte nur den Kopf, als wollte er ihre Worte in sein Weltbild einordnen. »Du meinst, Miss B. war deine richtige Mutter?«
»Nein. Großmama war meine richtige Mutter, die Frau, die mich aufgezogen und geliebt hat, die für mich gesorgt hat. Aber Eve war die Frau, die mich zur Welt gebracht hat. Sie war meine biologische Mutter.« Mit einem Seufzer fuhr Julia ihm durchs Haar. »Und deine biologische Großmutter. Du bist sehr wichtig für sie geworden, als sie dich erst einmal kennengelernt hatte. Sie war stolz auf dich, und ich weiß, dass sie sich gewünscht hat, noch genügend Zeit zu haben, dir das selber zu erzählen.«
Seine Lippen zitterten. »Warum hat sie dich nicht behalten, wenn du ihr Baby gewesen bist? Sie hat ein großes Haus gehabt und Geld und alles.«
»Ein großes Haus und Geld sind nicht alles, Brandon. Es gibt andere Gründe, gewichtigere, die zu einer solchen Entscheidung führen können.«
»Du hast mich nicht fortgegeben.«
»Nein.« Sie legte ihre Wange an seine und spürte, wie sie von Liebe durchflutet wurde, ebenso stark und mächtig wie zu der Zeit, als er in ihrem Leib wuchs. »Aber was für einen Menschen richtig ist, muss es nicht unbedingt auch für den anderen sein. Sie hat das getan, was sie für das Richtige hielt, Brandon. Und wie könnte ich traurig darüber sein? So ist es doch gekommen, dass ich Großmama und Großpapa gehört habe.«
Sie legte die Hand auf seine Schulter und verlagerte ihr Gewicht auf ihre Fersen. »Ich erzähle dir das alles jetzt, weil darüber geredet werden wird. Ich möchte, dass du weißt, dass es nichts gibt, wofür du dich schämen müsstest, nichts, was du bedauern müsstest. Du kannst stolz darauf sein, dass Eve Benedict deine Großmutter war.«
»Ich mochte sie sehr.«
»Ich weiß.« Sie lächelte und führte ihn zu einer Bank auf der anderen Seite. »Da ist noch etwas, Brandon, und das ist eine sehr schlimme Sache. Du musst tapfer sein und mir glauben, dass alles in Ordnung kommen wird.« Sie wartete und schaute ihn an, bis sie sicher war, dass sie ganz ruhig sprechen konnte. »Die Polizei denkt, ich hätte Eve getötet.«,
Er blinzelte nicht einmal. Statt dessen stieg heißer Zorn in ihm auf. Er presste die Lippen zusammen. »Das ist blöd.«
Erleichtert lachte sie auf und legte ihre Wange auf seinen Kopf. »)a. Ja, das ist blöd.«
»Du kannst nicht einmal eine Spinne töten. Ich kann's ihnen sagen.«
»Sie werden die Wahrheit herausfinden. Es kann allerdings eine Weile dauern. Vielleicht werden
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