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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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und Kind waren also nicht zusammen, so wie er es vermutet hatte. Offensichtlich ein Irrtum. Und wenn die Mutter bereits tot war, konnte sie ihm auch keinen Hinweis darauf geben, wo er das Baby finden könnte. Und selbst wenn sie noch lebte, begriff er niedergeschlagen, wusste sie vielleicht nichts. Dennoch musste er es versuchen.
    Jameson kam näher, schob den massiven Deckel aus Stein mühelos beiseite und verzog beim Knirschen das Gesicht. Es klang wie ein Schrei und hallte regelrecht in der winzigen Zelle. Im Inneren stand ein zweiter Sarg aus gewöhnlichem Holz, allerdings spürte er Bleiverstärkungen darin. Dieser Sarg war verriegelt, doch Jameson zerbrach die Riegel wie Zweige und nahm den Deckel herunter.
    In der pechschwarzen Finsternis der Zelle waren seine Augen so scharf wie die einer Katze. Da lag sie, reglos und weiß, und die Wangenknochen zeichneten sich spitz unter der blassen Haut ab. Das verfilzte Haar umgab sie wie ein Heiligenschein. Jameson sah bis ins innerste Mark erschüttert auf sie hinab. „Du!“, flüsterte er.
    Sie schlug die Augen auf, deren Violett so stumpf wirkte, dass er sie kaum wiedererkannte. „Bitte …“, flüsterte sie, obwohl sie die Worte mit den trockenen Lippen kaum formen konnte. „Mein … Kind …“
    Er begriff nicht, weshalb sie sich die Mühe machte und die Worte laut aussprach, wenn es ihr so schwerfiel. Sie hätte ihm doch wesentlich einfacher ihre Gedanken übermitteln können. Sie. Warum zum Teufel musste sie es sein? Welcher Winkelzug des Schicksals war für diese ironische Entwicklung verantwortlich?
    „Wo ist das Kind?“, wollte er wissen, packte sie an den Schultern und rüttelte sie wach, als sie wieder eindösen wollte. „Wo?“
    Sie öffnete den Mund, brachte aber nur ein leises Stöhnen heraus. Jameson schüttelte sie wieder, sie sah blinzelnd zu ihm auf. „Sie … haben mein Baby … genommen … die haben sie …“
    „Wohin, gottverdammt?“
    Ihre Augen weiteten sich, als sie den Zorn in seiner Stimme hörte. Dann blickte sie ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Du lebst“, sagte sie seufzend und betrachtete sein Gesicht.
    „Was nicht dein Verdienst ist. Und jetzt, verflucht, wo ist das Kind?“
    Sie leckte sich die Lippen und schüttelte den Kopf. „Ich … die haben sie … von hier weggebracht.“
    „Sie ist nicht in diesem Gebäude?“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Und du hast keine Ahnung, wo sie sich befindet?“
    „Nein.“
    Jameson fluchte, drehte sich im Kreis und entfernte sich vom Grab der Frau.
    „Bitte“, stöhnte sie. „Lass … mich nicht hier zurück.“
    Da lachte er, ein leises, verbittertes Lachen, das von den Betonwänden widerhallte, und wandte sich ihr zu. „Ich soll dir helfen? Ich, dein Opfer, der sterbliche Mann, den du ermorden wolltest? Warum sollte ich? Du wolltest mich töten. Du hast mich ausgesaugt und liegen lassen, weil du dachtest, ich wäre tot, und dann bist du freiwillig mit diesen Dreckskerlen gegangen. Es ist deine Schuld, dass die meine Tochter in die Finger bekommen haben, und du verdienst nichts anderes als das, was sie mit dir …“
    „ Deine … Tochter?“
    Jameson verstummte, kam näher und betrachtete die jämmerlich wirkende, aber auf eine besondere Weise immer noch wunderschöne Frau, die zu schwach schien, als dass sie sich allein aufrichten konnte. „Ja“, sagte er leise. „Meine Tochter. Ich war einst Gefangener hier, wie du jetzt. Und die haben dich mit meinem Sperma befruchtet. Sie ist meine kleine Tochter. Und ich finde sie.“
    Sie machte die Augen zu und holte gequält Luft. „Ich … kann dir helfen.“
    „Wie?“ Er glaubte ihr nicht. Aber, verdammt, er konnte sie nicht einfach hier zurücklassen. Auch wenn er solch unermesslichen Groll gegen sie hegte, er würde sie nicht so sterben lassen. Aber sie schien das wohl zu glauben und versuchte offenbar, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Griff nach Strohhalmen. Log vermutlich.
    „Ich …“ Sie hielt sich an den Rändern des Sargs fest und versuchte sich aufzurichten. Und Jameson bewegte automatisch die Hände. Er vergaß mit einem Mal alles, was vorgefallen war, schob ihr die Hände unter den Rücken, verzog das Gesicht, so dünn war sie, und half ihr. Sie musste sich am Holz festhalten, damit sie in der sitzenden Haltung blieb, und ihr Kopf kippte nach vorn, als wäre es schon zu anstrengend, ihn aufrecht zu halten. „Bitte … hol mich wenigstens aus dieser Kiste heraus.“
    Angst war in ihren Augen zu lesen,

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