Erlösung
besonders. „Zwei von vorne und die anderen gehen von hinten rein. Sorgt möglichst dafür, dass sie nach draußen kommen, dann haben wir einen großen Vorteil.“ Mir schwante nichts Gutes.
„Wozu hat man Geld, wenn man sich davon nichts Innovatives leisten kann?“ Lucas zog die Maske lachend über seinen Kopf. Konnte er damit überhaupt noch sehen? Sein kompletter Körper war jetzt mit diesem merkwürdigen Anzug bedeckt. Hatte irgendwie ein bisschen was von einem Superheldenkostüm. Meine innere Stimme schnaubte entnervt.
„Andere Liga“, zischte Aribo erhaben. Ganz offensichtlich.
Peter und ich hatten es immer gehasst, wenn wir die Zeit totschlagen mussten, bis wir endlich wieder auf Patrouille gehen konnten. Jedenfalls war es am Anfang so, als zwischen uns noch alles normal lief. Nun harrte ich in diesem feuchten und dunklen Unterschlupf aus, um auf den Tag zu warten. Irritierend, jetzt war es genau andersherum. Das war gegen meine Natur. Ich konnte eigentlich nur darüber nachdenken, was mit mir passieren würde, wenn ich wirklich ins Sonnenlicht trat. Ob es den Ältesten auch so ging? Dieser merkwürdige Anzug aus Latex, Gummi oder was auch immer das für ein Zeug war, wirkte jedenfalls nicht besonders beruhigend und sicher auf mich. Sollte er mich ernsthaft vor den UV Strahlen schützen können? Das war nur schwer bis gar nicht vorstellbar, aber ich musste ganz einfach auf die Ältesten vertrauen. Sie würden so eine Taktik schließlich nicht einsetzen, wenn es einem Selbstmordkommando gleich käme. Ich lehnte mich resignierend zurück und versuchte mich zu entspannen, so lange ich noch Gelegenheit dazu hatte. Die Stunden vergingen wieder einmal quälend langsam, in solchen Momenten konnte man die Unsterblichkeit beinahe verfluchen. Wenn die Zeit keine Rolle spielte, dann schien sie manchmal geradezu stehen zu bleiben. Als ich die Augen schloss, flammte in meinen Gedanken sofort ein Engel auf. Lesley war mir so nah, sie würde immer da sein, egal wie das hier ausgehen mochte. Und ich ließ bereitwillig zu, dass ihre Schönheit in meinen Erinnerungen aufloderte. Wir waren wieder auf dieser Halloweenparty am College und wir tanzten. Um uns herum erschienen lachende Studenten, die in ihren Kostümen schauderhaft und gruselig wirken wollten. Niemand hatte gewusst, dass ich der einzige gewesen war, der tatsächlich erschreckend sein konnte… Die Bilder veränderten sich und wir waren jetzt in Norwegen, in dem kleinen Holzhaus, das ihr so gut gefallen hatte. Ich konnte beinahe die Wärme des Feuers spüren, dass neben uns im Kamin geknistert hatte, als wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Wie zart und zerbrechlich sie in diesem Augenblick gewesen war. Ihr Duft hing in der Luft, er hatte mich umhüllt, regelrecht verzaubert. Wie sehr ich mich schon wieder nach ihr sehnte…
Mein Körper spannte sich abrupt an und ich riss die Augen auf. Erste Sonnenstrahlen lenkten meine gesamte Aufmerksamkeit sofort auf den Eingang der Höhle. Allein bei dem Gedanken daran, dass sichere Versteck zu verlassen, wollte sich alles in mir dagegen zur Wehr setzen.
„Es geht los“, der Älteste stand auf. Er zog sich seine Maske über und sah nun genau so aus wie Lucas oder Vincent, der es ihm schon gleich getan hatte. Auch der vierte Älteste verbarg seinen Kopf unter dem seltsamen Material. Obwohl ich ihre Augen nicht sehen konnte, war mir klar, dass sie mich allesamt musterten. Nun war ich an der Reihe. Ein letztes Mal sog ich automatisch Luft in meine unbrauchbaren Lungen und ich roch noch einmal die salzige See, die draußen gegen die Klippen peitschte. Dann verschwand auch mein gesamter Kopf unter dieser Kapuzenmaske. Es war sehr ungewohnt, aber immerhin konnte ich durch den Stoff normal sehen. Meine beste Waffe würde ich damit jedoch nicht im Kampf einsetzen können, denn es gab keine Öffnung für meinen Mund. Das gab schon mal einen Minuspunkt.
„Der Vorteil wird auf unserer Seite sein, aber wir müssen dennoch schnell sein. Der Anzug hält nur einen begrenzten Teil der Strahlung auf. Wer also nicht geröstet werden will…“ Es war das erste Mal, dass sich das vierte Ratsmitglied zu Wort meldete und damit war es auch anscheinend schon wieder getan. Er hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, da war er auch schon aus der Höhle verschwunden. Vincent, Lucas und Aribo folgten ihm auf dem Fuß. Ohne noch weiter über mögliche Konsequenzen nachzudenken, sprang ich ebenfalls hinaus.
Mühelos
Weitere Kostenlose Bücher