Erntedank
Markt?«, versuchte er die Konversation zu beginnen.
»Ja, verschiedene Kräutertees. Ich sag immer: Kräutertee – Gesundheitsfee. Und Ihre Erika hat sich eine Salzkristalllampe gekauft. Ein tolles Stück, wenn auch zugegebenermaßen nicht ganz billig. Aber ich hab ihr zur teureren geraten. Je reiner das Salz, desto besser die Wirkung!«
Es war wie verhext: Jedes Mal, wenn sich Kluftinger vornahm, dem Doktor ohne jegliche Ressentiments eine neue Chance zu geben, schaffte der es, seine guten Vorsätze mit einer Bemerkung zunichte zu machen.
»Ist die Medizin eigentlich nicht eher an Wissenschaftlichkeit und Fakten interessiert als an Aberglaube und Hausmittelchen?«, sagte Kluftinger, um sich wenigstens ein bisschen zu rächen.
»Und? Die alte Kräutermedizin, wenn Sie das meinen, mein Lieber, ist mittlerweile ein anerkannter Bereich im Fächerkanon der Humanmedizin. Das hat mit Aberglauben nichts zu tun«, konterte Langhammer in belehrendem Ton.
»Aber Sie glauben doch nicht wirklich an diesen Schwingungshumbug und an die Luftvitamine – Sie als … «, er machte eine kleine Pause, verschluckte ein Lachen und fuhr dann fort » … Wissenschaftler.«
Das kleine Scharmützel zwischen Kluftinger und dem Doktor fand ein rasches Ende, als die beiden Frauen mit Kaffee und Kuchen zurückkamen. Vollkornkuchen natürlich. Schließlich sei Weißmehl ein regelrechter Sargnagel und lege sich direkt auf die Hüften, wie der Doktor zu berichten wusste.
Davon, dass die Körner Kluftingers Verdauung so nachhaltig durcheinander brachten, dass er am Abend mehrmals das Wohnzimmer verlassen musste, um seine Blähungen loszuwerden, hatte ihm Langhammer allerdings nichts gesagt.
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
Den Kranz helft mir winden,
Die Garbe helft binden,
Kein Blümlein darf fehlen,
Jed’ Körnlein wird zählen
Der Herr auf seiner Tenne rein,
Hüte dich schöns Blümelein!
Zum Erntedankfest geht man in die Kirche. Das hatte Kluftinger immer so gehalten und daran würde auch sein gespanntes Verhältnis zum Pfarrer nichts ändern. Den Besuch der sterbenslangweiligen Zeremonien des Geistlichen betrachtete er als sein Opfer, das ihm später, »droben«, wie er sich ausdrückte, das eine oder andere Jahrtausend Fegefeuer ersparen würde. Heute war sein Opfer gleich doppelt groß, denn er besuchte die Frühmesse um sieben, weil der heilige Sonntag für ihn heute ein ganz normaler Arbeitstag war. Den Erntedankaltar hatte der Pfarrer aber doch ganz ordentlich hingekriegt, urteilte er während des Gottesdienstes gönnerhaft und freute sich gleichzeitig darüber, dass er trotz des Streits den Pfarrer so großherzig loben konnte. Das hätte der umgekehrt sicher nicht fertig gebracht.
***
Er hatte kaum die Bürotür geschlossen, da stürmte schon sein Chef Dietmar Lodenbacher hinter ihm herein. Kluftinger wunderte sich zunächst, dass der Direktionsleiter am Feiertag ebenfalls im Dienst zu sein schien, doch ein Blick auf seine Kleidung zeigte ihm, dass es nur ein kurzer Abstecher sein konnte: Lodenbachers Beine steckten in grobkarierten Knickerbocker-Hosen, dazu trug er Kniestrümpfe und weiße Lederslipper sowie ein farblich abgestimmtes Tweedsakko. Seinen Kopf zierte eine beige Schirmmütze. In dieser Aufmachung hätte er gut in einen Gangsterfilm über Al Capone gepasst, fand Kluftinger.
»Do deafan S’ ned so gnau hischaung«, begann Lodenbacher, als er den skeptischen Blick des Kommissars registrierte. »Mia homm heid a Nostalgie-Goifturnier. Motto: Gauner und Ganoven. Des passt – wos moanan S’?« Er lachte kurz und laut auf, dann wurde er schlagartig wieder ernst. »I bin bloß vorbeikemma, dass i Eahna sog, dass mia den Soock jetzt nacha zuamocha kenna.«
Kluftinger verstand, was Lodenbacher ihm mitteilen wollte, aber in der Aufmachung genoss er in seinen Augen nur wenig Autorität. Noch weniger als sonst jedenfalls.
Ein paar Minuten später, in denen Lodenbacher ihn darauf einschwor, jetzt endlich »Neegl mit Kepf z’mocha«, Brentano endlich ein Geständnis zu entlocken und damit die Sache endgültig zum Ende zu bringen, verließ er das Büro wieder, und Kluftinger verabschiedete ihn mit einem »Golf Heil«, weil er nicht wusste, was er seinem Chef sonst hätte wünschen sollen. Das heißt: Gewusst hätte er es schon, aber »Gute Besserung« hätte der wahrscheinlich nicht besonders komisch gefunden.
Nacheinander trudelten auch seine Kollegen ein, jeder mit
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