Erntedank
auch.«
Kluftinger blickte sich um und sah tatsächlich überall ganze Teppiche der kleinen schwarzen Früchte. Noch bevor er darauf hinweisen konnte, dass das im Moment aber nichts zur Sache tue, zog Preising aus einer Tüte ein Gebilde aus Holz und Nägeln, das Kluftinger als so genannten Heidelbeerkamm identifizierte.
»Ich gebe offen zu, ich habe nicht gepflückt, sondern gekämmt. Ich weiß, dass man das wegen dem Naturschutz nicht darf, aber beim Pflücken geht ja nichts vorwärts. Und die paar Blätter, die man mit abreißt, die kommen schon wieder nach. Das hat aber hoffentlich keine Konsequenzen für mich … «
Kluftinger blickte zu Strobl. Der schüttelte irritiert den Kopf und zuckte mit den Achseln.
»Jedenfalls lag sie da. Und da hab ich Sie angerufen.«
»Sie haben gleich uns angerufen? Nicht erst einen Krankenwagen?«
»Also, nichts für ungut, aber vielleicht sollten Sie sich das Ganze erst mal anschauen. Dann können Sie mitreden.«
Kluftinger gefiel der Ton des Pilzsuchers überhaupt nicht. Außerdem hatte er selten einen Menschen getroffen, der so ungerührt auf einen derartigen Fund reagiert hatte, wie Preising. Außer seinen Heidelbeeren und den Pilzen schien ihn herzlich wenig zu interessieren.
»Maier … «, sagte der Kommissar nur und wies mit dem Kopf in Preisings Richtung. Maier deutete die Geste als Aufforderung, den Mann einer eingehenden Befragung zu unterziehen. Kluftinger wollte sich, wie von dem Pilzsucher vorgeschlagen, nun selbst ein Bild von der Lage machen.
Zusammen mit Strobl und dem uniformierten Beamten stapfte er den Weg entlang. Er hörte das Plätschern des Baches, der hier von Bäumen geschützt talwärts lief. Plötzlich blieb der Polizist stehen: »Da unten.«
Er hatte sein Gesicht Kluftinger zugewandt und zeigte über seine Schulter. Augenscheinlich war er nicht erpicht darauf, noch einmal das zu sehen, was Kluftinger nun erblickte: Sie standen an der Stelle, die vom Bach aus gesehen am höchsten lag. Ein etwa fünfzehn Meter hoher Abhang fiel ab zum eng geschlängelten Bachbett; auf der anderen Seite führte ein nur unwesentlich niedrigerer Hang wieder hinauf. Das alles nahm Kluftinger aber nur im Unterbewusstsein wahr. Denn sein Blick war fixiert auf den leblosen Körper, der dort unten lag. Vom Telefon wusste er schon, dass es sich dabei um eine Frau handelte. Erkennen konnte er das nämlich nicht. Sie lag auf dem Bauch und nur die untere Hälfte ihres Körpers war zu sehen. Gesicht und Oberkörper waren in den Bach getaucht.
Kluftinger brauchte ein paar Atemzüge, ehe er wieder klar denken konnte. Er hatte während der Fahrt versucht, sich auf die Situation vorzubereiten, aber nun musste er erkennen, dass er kläglich gescheitert war. Erstaunlicherweise wurde ihm nicht übel. Vielmehr fingen seine Knie an zu zittern und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Er strich sich fahrig mit einer Hand durchs Haar und schaute Strobl an. Der schien ebenfalls wie erstarrt. Kluftinger zwang sich, sein Standardprogramm für solche Situationen abzuspulen, um so die Fassung wieder zu finden. Er schloss die Augen, massierte seine Nasenwurzel und zählte innerlich langsam bis zehn. Dann trat er an den Rand des Abhangs und machte sich daran, hinunterzusteigen. Eine Hand auf seiner Schulter hielt ihn jedoch zurück.
»Lass. Die Spurensicherung … « sagte Strobl.
»Natürlich … « Kluftinger schüttelte über sich selbst den Kopf. Dass er beinahe einen solchen Anfängerfehler begangen hätte, führte ihm deutlich vor Augen, dass er am Rande seiner psychischen Belastbarkeit angelangt war. Er gab dem Uniformierten das Zeichen, mit der »Flatterleine«, dem rot-weiß gestreiften Plastikband mit der Aufschrift »Polizeiabsperrung«, das ganze Gebiet weiträumig abzusperren. Mit gesenktem Kopf trottete er dann in Richtung Wagen.
Er hatte das kleine Wäldchen, das nicht mehr als das von Bäumen gesäumte Ufer eines Baches war, noch nicht verlassen, da sah er schon die Kollegen aus Kempten vorfahren. Drei Streifenwagen, ein weinroter Audi und etwas weiter hinten ein Leichenwagen.
Aus dem Audi hüpfte ungelenk eine kleine Gestalt mit grünkarierten Hosen und einer dicken Hornbrille.
»Willi … «, sagte Kluftinger erleichtert und bekam als Gegengruß ein Kopfnicken. Renn kannte den Kommissar gut, er wusste, dass sein Magen bei Leichenfunden nicht immer mitspielte, aber er erkannte auch, dass er heute besonders mitgenommen aussah.
»Nicht gut?«, fragte er
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