Ernten und Sterben (German Edition)
eindeutig Gunnar«, sagte Hubertus, der neben Albertine im Garten stand. »Ist er tot?«
»Nein, aber er sieht sehr mitgenommen aus. Um ihn so ins Reich der Träume zu befördern, braucht man die gleiche Dosis wie bei einem Elefanten. Vielleicht hat man ihn gefoltert und dann betäubt. Außerdem stinkt er bestialisch. Ich ruf Clementine, sie kann uns jetzt gut helfen«, sagte Albertine.
Hubertus hielt ihr wortlos sein Handy hin.
Albertine wich zwei Schritte zurück. »Bist du verrückt. Ich fasse so ein Ding nicht an. Wer weiß denn, welche Strahlung da rauskommt. Außerdem zwingen dich tragbare Telefone, immer erreichbar zu sein. Das ist die Geißel des Jahrhunderts, ach was, des Jahrtausends. Nie im Leben werde ich so ein Teufelsteil in die Hand nehmen. Wofür hab ich mein schönes altmodisches Telefon im Haus. Das hat eine wunderbare Wählscheibe, dicke, gut abgeschirmte Kabel und ist noch nie kaputtgegangen. Hat mein Vorgänger schon benutzt, und der ist neunzig Jahre alt geworden. Bestimmt auch, weil er kein Handy benutzte.«
»Und was machst du bei einem Notfall, wenn die Zeit drängt?«, fragte Hubertus.
»Dann fahr ich eben schneller.«
Hubertus hatte schon mal in dem SUV eines bayrischen Nobelkarossenherstellers gesessen, als Albertine zu einer Sturzgeburt gerufen wurde. Auf Knien hatte er dem Herrn im Himmel gedankt, dass er diesen Höllenritt überlebt hatte. Ein Glück, dass Albertine jetzt schon zu Hause war und man Gunnar nur noch ins Haus tragen musste.
Clementine half Hubertus und Albertine, ihn im Gästezimmer zu betten. Sie versorgte ihn nach allen Regeln der Kunst und hatte sogar Kleidung mitgebracht, die ihrem verblichenen Gatten gehört hatte, ein litauischer Bergarbeiter, der bei einem Grubenunglück das Zeitliche gesegnet hatte. Clementine sprach nicht gern über ihn, wohl auch weil er ein Säufer gewesen war.
»Ich verstehe nicht, was hier passiert ist.« Albertine hatte Gunnar der Pflege Clementines überlassen und setzte sich zu Hubertus ins Wohnzimmer. »Gunnar ist doch ein kräftiger Kerl, fast unbesiegbar. Wer hat ihn außer Gefecht gesetzt, und warum lag er in meinem Garten? Genauso wie der Mann, den ich ermordet haben soll und selbstverständlich nicht ermordet habe. Da scheint jemand einen Plan zu haben, und wir werden am Ende die Opfer sein. Wir müssen agieren und nicht immer nur reagieren.«
Hubertus starrte aus dem Fenster und verlor dabei die Asche seiner Zigarre auf Albertines noblen Perserteppich. Normalerweise wäre sie jetzt aus der Haut gefahren, aber sie nahm es mit stoischer Gelassenheit zur Kenntnis.
Hubertus wirkte vollkommen unbeteiligt und nutzte die Zeit der Stille, um Egon-Erwin anzurufen, der sich sofort auf den Weg nach Klein-Büchsen machte.
Clementine kam aus dem ersten Stock herunter. In einem Arm trug sie die zerfetzte Kleidung Gunnars und in der anderen Hand eine Waschschüssel mit dunkler Brühe.
»Ich habe den Eindruck, dass er langsam zu sich kommt. Sie sollten sich einmal seinen rechten Oberarm anschauen, Frau Doktor. Vielleicht, bevor er ganz wach ist«, sagte sie.
»Warum wollen Sie mir nicht sagen, was Sie gesehen haben?« Albertine war froh, dass ihre rechte Hand an der förmlichen Anrede festhielt und das gestrige Duz-Angebot komplett ignorierte.
Clementine schüttelte vehement den Kopf und ging in den Keller, um die zerrissenen Sachen zu entsorgen.
Albertine und Hubertus blickten sich wortlos an und gingen hoch ins Gästezimmer, wobei Hubertus zu Albertines tiefer Befriedigung die Zigarre wenigstens noch im Aschenbecher ablegte, wo sie stilvoll ausglühte. Immerhin war es eine sündhaft teure Cohiba, die Lieblingsmarke des ehemaligen Basta-Kanzlers.
Als sie an Gunnars Bett standen, waren sie doch überrascht, wie friedlich der Hufschmied wirkte, fast zufrieden, trotz der unzähligen kleinen und größeren Wunden in seinem Gesicht. Die Gelenke seiner Hände sahen übel aus, die Male der Fesselung sprachen ihre eigene blutige Sprache.
Vorsichtig schob Albertine den kurzen Ärmel von Gunnars T-Shirt hoch und sah zunächst einmal nur eine daumennagelgroße dunkle Stelle. Sie ging in die Knie, um mehr erkennen zu können. Es sah aus wie eine Signatur, die mit einem scharfen Messer tief in die Haut geritzt worden war. Am Wundrand war die Haut noch angeschwollen.
»Komm bitte mal her, Hubertus, und sieh dir das an. Ich habe eine Ahnung, aber vielleicht täusche ich mich auch.«
Hubertus seufzte. »Du weißt ja, dass ich kein Blut sehen
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