ErosÄrger
Anlegestelle und die umgebenden Docks waren leer. Mal abgesehen von dem ganzen Schrott, Plunder und Kram, der überall herumstand. Scheinbar wahllos, aber wahrscheinlich total wichtig und sinnvoll. Natürlich.
Doch Dank der Paletten, Kräne, Schienen, Fässer, Container aber auch wegen der Dunkelheit und des unheilvollen »Tué tué tué« eines tieffliegenden Chonchons fühlte ich mich an einen Gruselfilm erinnert. Eher einen der schlechteren Sorte. So einer, bei dem der Zuschauer genau wusste, wenn die doofe Perle jetzt in den finsteren Gang geht, ist sie fällig … Leider war ich die Perle und der finstere Gang deutlich lichtärmer und gruseliger als im Film. Normalerweise gab es in so einem Gang nicht viel, was schlimmer wäre als ich. Normalerweise war zu meinem Leidwesen nicht heute, deswegen schreckte ich auch schon bei dem leisen Flügelschlag zusammen, das abermals über mir einen Kreis zog.
Ich zog meine Finger von der magischen Kette, mit der sie ohne mein aktives Zutun gespielt hatten, fort. Kurz überlegte ich, zurückzugehen und Kirke um Hilfe zu bitten. Sogar meinen Bruder zog ich kurz in Betracht, verwarf den Gedanken aber genauso schnell, wie er gekommen war. Unmöglich.
Genauso unmöglich, wie meinen Golem zu verlieren und nicht nachzusehen, was die fröhlich-gehässigen Stimmen auf der anderen Seite der Dunkelheit zu bedeuten hatten.
Wo war eigentlich eine gute Fee, wenn man sie brauchte? Das war doch nun wirklich eine perfekte Gelegenheit für einen Wunsch.
Immerhin krächzte der vollkommen ungefährliche, aber vollkommen nervige Chonchon laut genug, um meine Schritte zu übertönen. Trotzdem klopfte mein Herz zum Zerspringen, während ich in der Deckung des herumstehenden Zeugs durch die Dunkelheit schlich. Dabei tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass nichts schlimmer sein konnte, als mein Bruder. Für mich stimmte das, für den Golem nicht.
Das Tonwesen stand leblos in der Mitte einer kleinen Bande von Jugendlichen und war splitterfasernackt. Einer der halbstarken Witzbolde hatte ihm ein lustiges Graffiti verpasst und selbst auf die Entfernung erkannte ich die farbenfrohen obszönen Darstellungen von hier nicht näher zu erläuternden Kamasutrastellungen. Mist! Und alles, was ich in petto hatte, war mein Menschen-Ich. Gegen sechs Möchtegern-coole-Jungs kein guter Schnitt. Musste aber reichen, entschied ich, als der erste seine Hose nach unten zog, um dem Golem als Urinal zu benutzten.
Ich trat aus der Dunkelheit.
»Soll ich ihn dir abschneiden, oder die Kollegen von der Sitte holen?«, fragte ich die Jungs im Allgemeinen und den halbnackten Jungen im Besonderen.
Einen Moment lang waren die sechs wie erstarrt. Selbst der mit dem Schwanz in der Hand rührte sich nicht einen Millimeter. Dann fingen fünf an zu lachen, der andere vor Schreck zu pinkeln. Zum Glück nicht mehr Richtung Golem, sondern in den freien Raum hinein.
»Also?«, meinte ich und gab meiner Stimme einen sehr sicheren Klang.
»Was willst du gegen uns ausrichten, Herzchen?«, meinte der Junge, der am weitesten von mir entfernt stand, vorlaut.
»Muss ich denn etwas gegen euch ausrichten?« Langsam trat ich zu der immer noch leblosen Tonfigur und tat so, als interessierte mich die sechsfache Gefahr in meinem Rücken gar nicht. Stattdessen redete ich wie unbeteiligt weiter. »Ist schon erstaunlich, dass man den meisten Leuten nicht ansieht, ob sie magische Wesen sind, oder nicht.«
»Ne, du bist nicht magisch.«
»Ach?« Ich drehte mich um und zog fragend eine Augenbraue nach oben.
»Du leitest diese komische Agentur, stand in der Zeitung.«
Na prima. Ein Hoch auf die Informationsfreiheit.
»Und wer sagt euch, dass ich keine Magie bei mir trage?« Ich trat auf den Rädelsführer zu.
»Du trägst nicht einmal eine Waffe.«
»Möchtest du dein Leben darauf verwetten?« Ich baute mich vor ihm auf und hielt seinem Blick ungerührt stand. Wenn ich das mit DeVil und Balthasar schafft, würde ein Mensch doch kein Problem darstellen, oder?
Als das nächste »Tué tué tué« des Chonchon zu hören war – es schnitt durch die Stille wie ein lästiges Lachen – gestattete ich mir ein unheilvolles Grinsen. »Ich bin mir sicher, dass euch das Nobelpreiskomitee nicht vermissen wird.«
»Was war das?« Der Halbstarke, der sich inzwischen wieder seine Hose gegönnt hatte, sah sich irritiert um, konnte aber den Ursprung des unheimlichen Geräusches nicht ausfindig machen. Vielleicht, weil es direkt über uns kreiste.
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