Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
Situation und den Leuten an, mit denen er redet. Vom Pfleger Gilgen lässt er sich zu einer Jasspartie überreden, von Frau Laduner erbittet er »no-n-es Tassli Gaffee«, aber wenn ihm ein Oberst Caplaun krumm kommt, kann er auch amtlich werden: »Ich glaube, es wäre opportun, wenn der den Fall behandelnde Arzt bei unserer Besprechung zugegen wäre.«
»Es sollte ein anspruchsloses, ein bisschen boshaftes Buch über die heilige Psychiatrie werden, ein Kriminalroman, wie es deren viele gibt«, schreibt Glauser mit dem ihm eigenen, von Selbstzweifeln geprägten Understatement an seine Lektorin, »und plötzlich biegt sich mir das Ganze um, es wird poetisch, sehr zu meinem Verdruss. Die Leute fangen an zu leben und sind gar nicht damit einverstanden, nur so ein Marionettendasein zu führen; es geht mir wie dem Regisseur in Pirandellos Heute Abend wird aus dem Stegreif gespielt : Die Akteure wollen gar keine Figuren sein, sondern sie wollen plötzlich leben.«
Dem angeblich hilflosen Regisseur gelingt es dennoch, seine Figuren zu einem packenden Showdown zu überreden. Mit einem Cliffhanger verzögert Glauser die Auflösung bis zur klassischen Szene des in einem Vortrag alles erklärenden Detektivs. Und dann, wenn man als Leser glaubt, die Zusammenhänge verstanden zu haben, setzt Glauser noch eine Pointe. »Sie haben leider nichts begriffen, Studer«, sagt Dr. Laduner, nachdem der Wachtmeister geendet hat. Der überraschenden Auflösung folgt eine zweite. Studer ist düpiert, aber er trägt es mit Fassung.
»Man kann mitunter scheußlich einsam sein«, singt Frau Laduner zum Abschied. Studer hat vier Tage in der Anstalt Randlingen verbracht. Er ist froh, dass er um elf Uhr den Zug nach Bern nehmen kann. »Man musste zu einem Ende kommen. Sonst – sonst kam man auch unter die Herrschaft Mattos.«
Den großen Erfolg seiner Bücher erlebte Glauser nicht mehr, auch nicht die Veröffentlichung von Gourrama und seines ersten Kriminalromans Der Tee der drei alten Damen , der noch ohne Studer auskommt. Wachtmeister Studer wurde 1939 verfilmt, Matto regiert 1946. Danach geriet Glauser eine Zeitlang in Vergessenheit. In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde er neu entdeckt und zeitweilig in den Status eines Kultautors erhoben. Es gab weitere Verfilmungen, nacheinander erschienen seine Werke in den Schweizer Verlagen Arche, Diogenes und Union. Die jüngste Ausgabe von Matto regiert brachte der Unionsverlag 2004 auf den Markt.
1987 verlieh das Syndikat, die Vereinigung deutschsprachiger Kriminalautoren, zum ersten Mal einen Preis für den besten Kriminalroman des Jahres. Sein Name: Friedrich-Glauser-Preis. Inzwischen ist der Friedrich-Glauser-Preis mit 5000 Euro dotiert und die renommierteste Auszeichnung der deutschsprachigen Kriminalliteratur. Wenn manche Kritiker trotzdem behaupten, es gäbe keine Tradition des deutschsprachigen, literarischen Kriminalromans, dann kann das nur eines bedeuten: Sie haben Friedrich Glauser nicht gelesen.
Aufgabe
In einem offenen Brief an den Schweizer Krimiautor Brockhoff, der Zehn Gebote für den Kriminalroman veröffentlicht hatte, schreibt Friedrich Glauser am 25. März 1937: »Die Handlung eines Kriminalromans lässt sich in anderthalb Seiten gut und gerne erzählen. Der Rest – die übrigen hundertachtundneunzig Schreibmaschinenseiten – sind Füllsel. Es kommt nur darauf an, was man mit diesem Füllsel anstellt.«
Nehmen Sie Glauser beim Wort und fassen Sie seinen Roman Matto regiert auf anderthalb Seiten zusammen! Fixieren Sie anschließend Ihren (Kriminal-)Roman auf anderthalb Seiten, und überlegen Sie dann, wie Sie den Rest füllen. Lesen Sie dafür wieder ein paar Seiten bei Glauser und streichen Sie die Stellen an, an denen er mit Füllungen arbeitet.
ANDREAS ESCHBACH
Planlos zum Ziel
Georges Simenon: Die grünen Fensterläden [1950]
Außer dafür, der Schöpfer des Kommissar Maigret zu sein, ist der belgische Autor Georges Simenon (1903-1989) vor allem für zwei Dinge berühmt geworden: Erstens für seine immense Produktionsgeschwindigkeit, zweitens für seine Fähigkeit, mit einfachen Worten und Sätzen Atmosphäre zu schaffen. Ich bin der Auffassung, dass zwar nicht das eine zwingend das andere bedingt (in dem Sinn, dass es genügt, rasend schnell zu schreiben, um Atmosphäre zu schaffen), aber dass doch ein Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen besteht.
Für jeden normalen, von Schreibhemmungen geplagten und mit Abgabeterminen ringenden
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