Erste Male
mitzukriegen, was jetzt passierte. Ich konnte jedenfalls auf gar keinen Fall da bleiben und Liebesherzchen auf die Umschläge kleben.
Ungefähr eine halbe Stunde später kam meine Mutter rauf und sagte, es sei ganz und gar ungehörig, was ich zu meiner Schwester gesagt hatte. Ihre Augen waren rot gerändert.
»Und was sie gesagt hat, etwa nicht?«
»Sie hat wirklich viel um die Ohren«, sagte Mom und fuhr mit dem Finger durch den Staub auf meiner Kommode. »Sie hat das nicht so gemeint. Du allerdings schon. Und deshalb möchte ich, dass du dich entschuldigst.«
»Du hast Recht, ich habe es so gemeint«, sagte ich verbittert. »Aber entschuldigen werde ich mich ganz bestimmt nicht. Es tut mir nicht leid. Aber ich erwarte auch nicht, dass du das verstehst.«
»Und warum nicht?«
Ich wollte sagen, Weil du genauso bist wie sie.
»Weil Hope die Einzige ist, die mich versteht.«
Darauf hielt Mom mir den Doppelvortrag Mit dir zu reden hat gar keinen Zweck und Hör endlich auf, wegen Hope zu schmollen und verpasste mir für den Rest des Abends Hausarrest, was natürlich im Grunde ein Segen war.
FÜNFUNDZWANZIGSTER
Ich musste meiner Mutter aus dem Weg gehen. Also dachte ich, heute versuche ich es mal mit einem Besuch bei Hy.
»Total cool, dass du anrufst«, sagte sie. »Eigentlich wollte ich in den Ferien mit meinen Mädels in der Stadt chillen, aber meine Tante macht die Oberzicke und will mich nicht zum Busbahnhof fahren. Also stecke ich hier fest.«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Bin gleich da.«
Hys Tante wohnt am anderen Ende von Hopes früherem Viertel. Das Haus ist das gleiche Modell wie das von Hopes Familie, bloß spiegelverkehrt: Bei Hope war die Küche links, bei Hy ist sie rechts; bei Hope war das Wohnzimmer rechts, bei Hy ist es links.
Ihr versteht schon.
Ich bekam jedenfalls so ein verdrehtes Déjà-vu-Gefühl, dass ich dachte, Ohmeingott! Vielleicht ist Hy wirklich vom Schicksal zu meiner neuen besten Freundin bestimmt. Vielleicht ist sie Hope Spiegelverkehrt. Und dann fing ich an, Indizien zu sammeln:
Hope hat von Natur aus rote Haare.
Hy hat schwarze Haare mit (derzeit) blau gefärbten Strähnen.
Hope ist eins achtzig groß.
Hy ist eins fünfundfünfzig.
Hope hat früher Tenorhorn gespielt.
Hy hat früher Flöte gespielt.
Ich hatte mich schon fast selbst überzeugt, aber dann dachte ich mir – ein tolles Beispiel dafür, wie ernst ich den größten Quatsch nehmen kann –, Moment mal, wenn sie Hope Spiegelverkehrt wäre, müssten ihre Initialen W. H. sein und nicht H. W.
Damit war die Sache erledigt.
Ich finde es immer ganz gut, wenn ich Leute zum ersten Mal zu Hause besuche, weil ich ihr Zimmer auschecken kann. Das eigene Zimmer verrät eine Menge darüber, was einem Menschen wichtig ist.
Bridgets Zimmer: Mit Leuchtstift markierte Zeitungsausschnitte, kitschige Grußkarten (in allen steht: An B., Ich liebe Dich, B.) und vertrocknete Nelken sind an eine Pinnwand geheftet. Trainingstrikot der Footballmannschaft (ROY 33) hängt innen an der Tür. Unzählige Pärchenfotos, gerahmt, im Spiegel steckend, lose herumliegend oder auf ihren Platz im Album wartend, darunter: B. und B. beim Homecoming, B. und B. vor einem Weihnachtsbaum, B. und B. in der Schwarz-Weiß-Foto-Kabine an der Strandpromenade.
Schlussfolgerung: Wenn B. und B. sich trennen, knallt es richtig.
Mandas Zimmer: Millionen winziger Löcher in der Wand, einziges Anzeichen dafür, dass hier früher jede Menge leckerste Fotos toller Typen und kerniger Kerle hingen, alle aus Blättern wie Bop oder Sixteen ausgerissen. Diese Fototräume wurden durch portemonnaiegroße Passbilder allihrer Exfreunde ersetzt. Sehen aus wie Polizeifotos. Sie ist auf keinem drauf. Über ihrem Bett? Ein Poster: BRAVE FRAUEN SCHREIBEN SELTEN GESCHICHTE.
Schlussfolgerung: Jungs, Jungs, Jungs und Feminismus – passt hervorragend.
Saras Zimmer: Die unerlässlichen Kommunikationsmittel (Mobiltelefon mit Headset, Pager, Palm, Laptop) alle in Reichweite des Bettes – ein Doppelbett mit weiß-golden marmoriertem Rahmen, einem als Muschelschale modellierten Kopfteil und einer Tagesdecke aus schwarzem Samt. Young Miss, Twist, Seventeen, CosmoGirl!, Cosmopolitan, Vogue, Entertainment Weekly, People, National Enquirer und zahlreiche andere Zeitschriften versinken im weichen, tiefroten Teppich. Eine professionell gerahmte Collage knochendünner Models und Schauspielerinnen ist der einzige Wandschmuck, der nicht zum gnadenlosen Neo-Rokoko-Stil ihrer
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