Erwachen
verwaisten Platz zu meiner Linken gesehen hatte und ihn am anderen Ende der Tafel neben Isobel lachen sah.
Constance sah mich freudlos an. „Ihr habt euch gestritten, oder nicht? Das hat er doch nur gemacht, um dich zu ärgern!“
Hamish kam um die Ecke und grinste mich an. „Carys, du hast gerade eben echt was verpasst!“
Ich seufzte. „Ich denke nicht.“
Er nahm meine Hand und zog mich in den Salon, wo so gut wie nie jemand war, und schloss die Tür, damit Constance uns nicht folgte. „Ich habe gerade gesehen, wie Gwyn Emrys einen Kinnhaken versetzt hat!“
Ich riss die Augen auf. „Was?“
Er lachte. „Ja! Haben – Gott sei Dank – nur Gabe und ich mitbekommen. Nicht, dass irgendjemand weiternachfragt.“
Ich kniff die Augenbrauen zusammen. „Wovon redest du?“
Er drückte mich auf ein Kanapee und setzte sich selbst mir gegenüber auf einen Stuhl. „Ich erzähle dir jetzt mal eine Geschichte, Kleine. Und nicht vergessen: es ist nur eine Geschichte!“
Mir schlug das Herz bis zum Hals. Mein lieber Gwydion hatte Emrys geschlagen – und Hamish wusste mehr, als er wissen sollte.
„Es waren einmal ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge, die hatten sich furchtbar lieb. Die Mutter tötete den Jungen und erzählte, er sei nicht tot, sondern komme wieder, wenn er groß sei. Das Mädchen wuchs zu einer jungen, schönen Dame heran, die den Jungen niemals vergessen konnte. Und als eines Tages ein Fremder vor ihr stand, erkannte sie ihn sofort und liebte ihn noch mehr als zuvor. Doch es gab Schwierigkeiten, denn die Mutter durfte niemals erfahren, dass der Junge tatsächlich als Mann zurückgekehrt war. Die Mutter wollte das Mädchen mit einem anderen verheiraten, und so verheimlichten die Liebenden ihre wahren Gefühle.“ Hamish hielt inne.
Ich schluckte. „Die Geschichte ist schön. Wie geht sie aus?“
Hamish sah mich ernst an. „Du hast Freunde, die dich sehr lieben, Carys Olwyn. Sie stehen hinter dir, falls es dazu kommt, dass du geopfert werden sollst. Wenn Patricia Caughleigh sich noch einmal entscheiden muss, wirst du sterben müssen. Und dein Tod wird uns zum Krieg aufrufen!“
Ich war gerührt, wirklich zutiefst berührt.
„Ein Rosewood Hall ohne Carys Olwyn Parker ist undenkbar, ehrlich!“ sprach er mit dunkler Stimme.
Ich erhob mich und trat vor ihn. Als ich meine Hand an seine Wange legte, sah er zu mir auf. „Wer weiß davon?“ wisperte ich.
„Von Emrys? Nur Gabe und ich. Aber die Liebe für dich als unsere Schwester empfinden fast alle! Die Lichtgestalten ausgenommen, bis auf Emerson. Der verehrt dich wie wir anderen alle auch!“
Ich zitterte und schluckte den Kloß hinunter. „Ich werde niemals eure Königin, Hamish Buford!“
Er lachte leise, nahm meine Hand und küsste sie galant. „Ich weiß, Kleine, aber du hast ja noch einen fähigen Bruder!“
Ich kicherte. „O Hamish! Jetzt verrate mir, warum Gwyn ihn geschlagen hat!“
Ehe Hamish dazu ansetzten konnte, mir die ganze Geschichte zu erzählen, riss jemand die Tür auf und schlüpfte verstohlen zu uns in den Salon.
Es war Gabriel, und er sah bekümmert aus.
„Ist alles okay, Gabe?“ fragte ich. „Stimmt was nicht?“
Gabriel fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als könne er die Besorgnis damit fortwischen. Dann kam er zu uns und schüttelte bedächtig den Kopf, während er weiterhin die Stirn runzelte. „Etwas stimmt hier nicht, meine Lieben, und zwar ganz und gar nicht!“
„Was meinst du?“ fragte nun Hamish verwirrt.
„Setzen wir uns besser!“ Gabriel holte ein Kartenspiel aus der Innentasche seines Gehrocks. „Wir tun so, als brächten wir Carys das Canastaspielen bei.“
„Ich kenne es bereits“, merkte ich an, setzte mich aber.
„Umso besser! Falls du danach gefragt wirst, dann kennst du die Regeln des Spiels. Niemand sollte wissen, dass wir über etwas ganz anderes sprechen.“
„Herrje, Gabe!“ zischte Hamish ungeduldig.
Dieser hob beschwichtigend die Hände. „Ich rede ja schon!“ Er blickte mich an. „Es hat bereits begonnen, Carys, der Krieg hat angefangen.“
„Welcher Krieg?“ fragte ich mit zitternder Stimme.
„Es gibt zwei Lager auf Rosewood Hall. Das erste wertschätzt Ehrlichkeit, Achtbarkeit und Liebe und lebt nach diesen Richtlinien. Das zweite strebt die totale Macht über diesen Zirkel an oder will diese zumindest verteidigen – und zwar unter dem Motto: Koste es, was es wolle.“ Gabriel sah bekümmert
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