Erwachende Leidenschaft
gebogen, so daß sie den letzten Dialog zwischen Butler und Herr nicht mehr hören konnte. Sie hatte augenblicklich Männer im allgemeinen und Neil Perry im besonderen furchtbar satt und beschloß, Victorias Bruder für eine gewisse Zeit aus ihrem Kopf zu verbannen. Morgen konnte sie entscheiden, was sie als nächstes unternehmen sollte.
Valena wartete im Schlafzimmer auf ihre Herrin. Sie hatte mit Flannaghan inzwischen die Sachen in das Zimmer neben dem Colins gebracht.
Alesandra setzte sich auf die Bettkante und schleuderte ihre Schuhe von sich. »Sieht aus, als müßten wir noch ein paar Tage hierbleiben, Valena.«
»Ihre Koffer sind angekommen, Prinzessin. Soll ich mit dem Auspacken anfangen?«
»Morgen reicht auch. Ich weiß, daß es noch früh ist, aber ich denke, ich gehe jetzt lieber ins Bett. Du brauchst mir nicht zu helfen.«
Valena ließ sie allein. Alesandra machte sich langsam bettfertig. Die ganzen Besuche hatten sie ausgelaugt und ermüdet, und die vielen Gespräche über ihren Vater und die wunderbaren Anekdoten, die über ihn erzählt wurden, machten ihr schmerzlich bewußt, wie sehr sie ihre Eltern vermißte. Vielleicht hätte Alesandra sich ihrem Gast gegenüber eher beherrschen können, wenn Neil nicht gar so selbstsüchtig und kaltherzig gewesen wäre. Am liebsten hätte sie ihn angebrüllt, er solle dankbar für seine Mutter und Schwester sein, doch vermutlich hätte er es ohnehin nicht verstanden. Er nahm wie die meisten Leute seine Familie als selbstverständlich hin.
Alesandra ergab sich wenige Minuten später ihrem Selbstmitleid. Sie hatte niemanden, der sich wirklich um sie kümmerte. Colin hatte deutlich gemacht, daß sie bloß ein Ärgernis war. Und ihr eigentlicher Vormund, der weitaus freundlicher und verständnisvoller mit ihr umging, hielt sie wahrscheinlich für genauso lästig.
Sie wollte ihre Mama. Aber die Erinnerungen an ihre Familie konnte sie nicht trösten. Sie verstärkten nur ihre Einsamkeit. Kurz darauf verkroch sie sich in ihr Bett, grub sich in die Decken ein und weinte sich in den Schlaf. Mitten in der Nacht wachte sie auf, fühlte sich immer noch nicht besser und begann erneut zu weinen.
Colin, der nebenan im Bett lag, hörte sie. Er war wach, denn die Schmerzen in seinem Bein hinderten ihn am Einschlafen. Alesandra machte keinen Lärm, aber Colin kannte jedes normale Geräusch in seinem Haus, und dieses ungewöhnliche war deutlich herauszuhören. Also schlug er das Laken zurück und stand auf. Er hatte das Zimmer schon fast durchquert, als er bemerkte, daß er splitterfasernackt war. Er zog ein Paar Hosen über, griff nach dem Türknopf und hielt dann inne.
Er wollte sie trösten, doch gleichzeitig wußte er, daß es ihr wahrscheinlich peinlich war, wenn er sah, daß sie weinte. Das Geräusch klang erstickt und sagte ihm, daß sie so leise wie möglich zu sein versuchte. Sie wollte nicht gehört werden, und er sollte ihre Privatsphäre respektieren.
»Teufel«, murmelte er. Er wußte nicht mehr, was er wollte. Gewöhnlich war er nicht so unentschlossen. Sein Instinkt sagte ihm, daß er sich von Alesandra fernhalten mußte. Sie war ein Problem, mit dem umzugehen er noch nicht bereit war.
Er drehte sich um und ging wieder in sein Bett. Dann endlich konnte er sich selbst gegenüber die Wahrheit eingestehen. Er wollte sie nicht nur vor einer peinlichen Situation bewahren, sondern sie ebenfalls vor seinen lüsternen Gedanken schützen. Sie lag im Bett und trug vermutlich nur ein dünnes Nachthemd. Und verdammt, wenn er näher an sie herankam, würde er sie bestimmt berühren.
Colin biß die Zähne zusammen und schloß die Augen. Wenn die kleine Unschuld nebenan gewußt hätte, an was er dachte, würde sie bestimmt ihre Wachen direkt um ihr Bett herum patroullieren lassen.
Himmel, er wollte sie haben.
Er hatte eine Hure umgebracht. Das war ein Fehler, denn es war ganz und gar nicht befriedigend gewesen. Das Fieber absoluter Macht und Erregung hatte gefehlt. Er mußte tagelang über das Problem nachdenken, bis er endlich auf eine annehmbare Lösung kam: Der Rausch stellte sich nur nach einer befriedigenden Jagd ein. Die Hure war zu leicht zu kriegen gewesen, und auch wenn ihre Schreie ihn erregt hatten, war es doch nicht dasselbe gewesen. Nein, es lag an der Gerissenheit, die er einsetzen mußte, um seine Beute zu erwischen. Die Verführung der Unschuld durch den Meister. Das waren die Schlüsselelemente, die den Unterschied machten. Die Hure war schmutzig
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