Erzählungen
voltaischen Strom bewegte!
Ich wollte in den Saal treten! Es war mir unmöglich! Zwar weiß ich nicht, ob dieses Konzert wirklich elektrisch ausgeführt wurde, aber ich kann beschwören, dass zumindest die Zuhörer elektrisiert waren!
Nein – nein! Ich war nicht in Amiens! Es war ganz unmöglich, dass sich derlei Dinge in dieser besonnenen und honorigen Stadt zutragen sollten! Um mir Klarheit zu verschaffen, stürzte ich hinaus in das, was die Rue des Rabuissons sein musste!
Stand dort noch die Bibliothek? Ja, und mitten im Hof drohte ein Lhomond aus Marmor weiterhin den Passanten, die nicht ihre Grammatik beherrschten! 13
Und das Museum? War da, mit seinen gekrönten N’s, die dem staatlich verordneten Abkratzen zum Trotz weiterhin erkennbar waren. 14
Und das Gebäude des Bezirksrats? Ja wohl, mit seiner monumentalen Tür, durch die meine Kollegen und ich jeden zweiten und vierten Freitag im Monat hindurchmarschieren!
Und das Präfekturgebäude? Auch noch da, mit seiner Trikolore, die die unerbittlichen Brise aus dem Somme-Tal so in Mitleidenschaft gezogen hatte, als hätte sie im Kampf mit braven Schützen des 324. Regiments gestanden!
Alle erkannte ich sie wieder, diese Gebäude! Aber wie sehr hatten sie sich verändert! Die Rue des Rabuissons gab sich den Anschein einer Prachtstraße wie der Pariser Boulevard Haussmann! Ich zögerte, wusste nicht mehr, was ich glauben sollte … Auf dem Périgord-Platz 15 angelangt war aber kein Zweifel mehr möglich!
Eine Art Überschwemmung hatte den Platz geflutet. Das Wasser strömte durch das Pflaster, als hätte sich irgend ein artesischer Brunnen durch den Boden gebohrt.
»Die Wasserleitung!«, rief ich aus, »die Hauptleitung, die hier jedes Jahr mit mathematischer Präzision zu brechen geruht – ja, ich bin wirklich in Amiens, mitten im Herz des alten Samarobrive!«
Nur: was mag sich seit gestern ereignet haben? Wen soll ich fragen? Ich kenne ja niemanden mehr! Bin hier wie ein Fremder! Und doch ist es unmöglich, dass ich in der Rue des Trois-Cailloux keinem Bekannten begegnen sollte!
So ging ich in Richtung Bahnhof die Rue des Trois-Cailloux entlang. Und was sah ich dort?
Links ein prächtiges Theater, das sich mit breiter Fassade in einigem Abstand von den umliegenden Häusern heraushob, in dieser vielfarbigen Architektur, die durch Charles Garnier 16 leichtfertig in Mode gekommen war. Ein großräumig angelegter Säulengang bot Zutritt zu den Treppen, die in den Saal führten. Keine dieser lästigen Absperrungen mehr, die gestern noch ein leider viel zu dürftiges Publikum in ein enges Gängelabyrinth gezwängt hatten! Der alte Saal war verschwunden, und seine Trümmer wurden wahrscheinlich auf dem Trödelmarkt wie Überbleibsel aus der Steinzeit verscherbelt!
Als ich meinen Rücken dem Theater zuwandte, nahm ein prächtiges Geschäft in der Ecke der Rue des Corps-nuds-sans-Tête meinen Blick gefangen. Die Fassade aus geschnitztem Holz, das Schaufenster aus venezianischem Glas, das eine prunkvolle Auslage schützte mit wertvollen Büchern, Kupfergeschirr, Emailwaren, Tapisserien, Steingut, das mir absolut modern vorkam, obwohl es dort wie Produkte aus der ehrwürdigen Antike präsentiert wurde. Dieses Geschäft war ein wahrhaftiges Museum, das mit flämischer Sorgfalt gepflegt wurde, ohne ein einziges Spinnennetz im Schaufenster, ein einziges Staubkorn auf seinem Parkett aufzuweisen. Über dem Gesims der Fassade prangte auf schwarzer Marmortafel in eingemeißelten Buchstaben der Name eines bekannten Amienser Geschäftsmannes, ein Name, der vollkommen im Widerspruch zur Gewohnheit seines Eigentümers steht, kaputte Töpfe zu verkaufen! 17
Erste Symptome des Wahnsinns begannen sich in meinem Hirn zu manifestieren. Mehr wollte ich mir nicht zumuten. Ich ergriff die Flucht. Überquerte den Saint-Denis-Platz 18 , den zwei Springbrunnen schmückten. Seine hundertjährigen Bäume warfen ihren Schatten auf einen Du Cange 19 , der durch die Patina der Zeit schon grün angelaufen war.
Wie toll lief ich die Rue Porte-Paris 20 hoch.
Auf dem Montplaisir-Platz fiel mir ein bedeutendes Denkmal in die Augen. An den vier Ecken erhoben sich die Statuen von Robert de Luzarches, Blasset, Delambre und des Generals Foy. An den Seiten des Postaments prangten Büsten und Bronzemedaillons. Darüber repräsentierte eine sitzende Frau die Bildhauerzunft mit folgender Legende: Denkmal für die Größen der Picardie!
Wie, das Werk unseres Kollegen Herrn de Forceville stand
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