Erzählungen
meinen Tod? rief Meister Zacharius. Dort in jener Uhr, der letzten, die noch geht von allen, die ich mit meinen Händen verfertigt habe, ist mein Leben eingeschlossen, und dieser Mann hat gesagt: »Gieb mir Deine Tochter, und die Uhr ist Dein!« Er will sie nicht aufziehen, und es liegt in seiner Macht, sie zu zerbrechen und mich in ein Nichts zurückzuschleudern! Ach, meine Tochter, Du liebst mich also nicht mehr!
– Mein Vater! flüsterte Gérande, als sie wieder zur Besinnung kam.
– Wenn Du wüßtest, was ich, fern von diesem Princip meiner Existenz, gelitten habe! klagte der Greis. Wie leicht war es möglich, daß diese Uhr vernachlässigt wurde, daß ihre Federn sich abnutzten, ihr Räderwerk in Verwirrung gerieth! Aber jetzt könnte ich selbst für sie sorgen, denn ich, der berühmteste Uhrmacher seiner Zeit kann und darf nicht sterben! Sieh, meine Gérande, wie die Zeiger so schön und sicher vorwärts gehen. Halt, jetzt wird es fünf schlagen! Merke wohl auf und lies den schönen Spruch, der jetzt vor unseren Augen erscheinen wird.«
Von dem Glockenthürmchen ertönten fünf Schläge, die schmerzlich in Gérande’s Seele wiederklangen, und in dem kupfernen Rahmen über der Kirchthür zeigten sich die Worte:
» Man muß die Früchte vom Baum der Wissenschaft essen .«
Aubert und Gérande sahen einander staunend und bestürzt an. Das waren nicht mehr die frommen Sinnsprüche des katholischen Uhrmachers; der Hauch des Satans mußte diese Uhr gestreift haben.
Zacharius aber schien das nicht zu beachten; er fuhr fort:
»Hörst Du, meine Gérande? Ich lebe, noch lebe ich! Höre meinen Athem!… Sieh, wie das Blut in meinen Adern rollt!… Nicht wahr, mein Kind, Du willst nicht den Tod Deines Vaters, und nimmst diesen Mann zum Gemahl, auf daß ich unsterblich werde und endlich die Macht Gottes erlange.«
Bei diesen gottlosen Worten bekreuzte sich die alte Scholastica, während Pittonaccio ein lautes Freudengeschrei hören ließ.
»Und dann, Gérande, sollst Du mit diesem Mann glücklich sein, Nimm ihn an, es ist hohe Zeit; Dein Dasein wird mit absolutester Präcision geregelt werden; o, Gérande! gieb mir, Deinem Vater, der Dir das Leben gab, das Leben wieder!
– Gérande, flüsterte Aubert, Du bist mein, ich bin Dein Verlobter!
– Er ist mein Vater! schluchzte Gérande und sank zusammen.
– Nimm sie hin, rief Meister Zacharius, und nun, Pittonaccio, wirst Du Dein Versprechen halten.
– Hier hast Du den Schlüssel zu der Uhr«, sprach das Ungethüm und überreichte dem Greise ein Werkzeug, das einer aufgerollten Natter ähnlich sah.
Meister Zacharius bemächtigte sich desselben, eilte auf die Uhr zu und begann sie mit fieberhafter Schnelligkeit aufzuziehen. Die Feder knirschte schwer, daß es mit wehem Gefühl in den Nerven nachtönte; aber der alte Uhrmacher drehte weiter und weiter, ohne daß sein Arm erlahmte; fast schien es, als ob diese Rotationsbewegung unabhängig von seinem Willen sei. Er drehte immer schneller und mit sonderbaren Zuckungen, bis er endlich vor Mattigkeit niedersank.
»Jetzt ist sie für ein Jahrhundert aufgezogen!« rief er.
Aubert verließ, wie von Sinnen, den Saal, fand endlich nach langem Hin-und Herklettern den Weg aus dem verwünschten alten Gebäude und stürzte hinaus auf’s Feld. Bald hatte er die Einsiedelei von
Notre-Dame du Sex
erreicht und flehte den heiligen Mann mit so verzweifelten Bitten an, daß dieser sich bestimmen ließ, den jungen Mann nach Schloß Andernatt zu begleiten.
Wenn Gérande in dieser Stunde der Angst nicht weinte, so kam es einzig daher, daß die Thränen in ihren Augen versiecht waren.
Meister Zacharius hatte den weiten Saal noch nicht verlassen; er horchte Minute für Minute auf das regelmäßige Tick-Tack der Uhr.
Inzwischen hatte es zehn geschlagen, und zum großen Entsetzen Scholastica’s waren die Worte:
» Der Mensch kann Gott gleich werden «,
in dem Rahmen über der Kirchthüre erschienen. Dem Greise waren diese Sprüche nicht anstößig; er las sie im Gegentheil mit wahnsinnigem Entzücken und gefiel sich in diesen hochmüthigen Aussprüchen, während Pittonaccio ihn umkreiste.
Die Heiratsacte sollte um Mitternacht unterzeichnet werden, aber die Braut, in der das Leben fast erloschen war, sah und hörte nichts mehr. Das Schweigen wurde nur durch die Worte des Alten und durch das Hohngelächter Pittonaccio’s unterbrochen.
Es schlug elf Uhr, und Meister Zacharius las zitternd, mit gellender Stimme, die
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