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Es begann in einer Winternacht

Es begann in einer Winternacht

Titel: Es begann in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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ließen ihr alle Haare am Körper zu Berge stehen. Aus dem Augenwinkel sah sie einen Schatten über den Boden huschen. Sie setzte sich auf und sah sich in wilder Angst um. Ein erschrockener Laut entschlüpfte ihr, als sie eine verwahrloste Gestalt auf sich zukommen sah.
    Sie sprang auf und warf in ihrer Eile den Stuhl um. Als sie herumwirbelte, um den Mann, der das Zimmer betreten hatte, anzusehen, sprach er sie mit heiserer Stimme an.
    „Kein Wort. Oder ich schlitz dich auf, von ganz unten bis hinauf zu deiner elenden Fratze.“
    Ein langes, gefährlich aussehendes Messer blitzte in seiner Hand. Er war sehr nah bei ihr – er konnte sie mit einem Sprung erreichen, wenn er das wollte.
    Niemals, nicht in ihren schlimmsten Albträumen oder in ihren kindlichen Fantasien, hätte sie sich etwas vorstellen können, was dem Aussehen des entstellten Eindringlings gleichkam. Langsam bewegte Evie sich in Richtung des Badezubers und versuchte, ihn zwischen sich und den Wahnsinnigen zu bringen. Seine Kleidung waren wenig mehr als Lumpen. Über seine linke Seite schien er mehr Kontrolle als über die rechte zu haben, so als wäre er eine Marionette mit verwirrten Fäden. Jeder Zoll sichtbarer Haut – seine Hände, sein Hals, sein Gesicht – war mit offenen, nässenden Schwären bedeckt, als würde ihm das Fleisch von den Knochen faulen. Am schrecklichsten waren indes die zerfallenen Überreste dessen, was einst seine Nase gewesen sein musste. Er sah aus wie eine Schimäre, eine Ansammlung von Fleisch, Gliedern und Teilen, die einfach nicht zusammengehörten.
    Trotz des Schmutzes, der Geschwüre und der schockierenden Überreste seines Gesichts erkannte Evie ihn. Es kostete sie große Mühe, ruhig zu bleiben, so groß war ihre brennende Furcht. „Mr. Bullard“, presste sie heraus. „Im Krankenhaus sagten sie uns, Sie seien tot.“
    Bullards Kopf rollte seltsam auf seinen Schultern hin und her, während er sie weiter anstarrte. „Ich bin weg aus dem dreckigen Höllenloch“, knurrte er. „Hab ein Fenster zerbrochen und bin in die Nacht geflohen. Ich hatte genug von diesen Dämonen, die mir ihr Teufelsgebräu die Kehle runterschütten wollten.“ Er kam mit ungleichmäßigen Schritten auf sie zu. Evie umrundete bedächtig die Wanne, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. „Ich wollte nicht in dem verdammten Loch sterben, ohne dich vorher erledigt zu haben.“
    „Warum?“, fragte sie sanft. Sie kämpfte darum, nicht zur Tür hinüberzusehen, wo sie schemenhaft eine Bewegimg erblickt hatte. Das musste Frannie sein, dachte sie fieberhaft. Die verschwommene Gestalt verschwand ohne weiteres Geräusch, und Evie betete, dass das Hausmädchen Hilfe holen würde. In der Zwischenzeit konnte sie nur versuchen, sich von Joss Bullard fernzuhalten.
    „Du hast mir alles genommen“, fuhr er sie an. Seine Schultern rundeten sich, wie die eines Tieres gegen die Wand seines Käfigs. „Er hat dir alles gegeben, der verdammte Bastard – er wollt’ nur dich hässliches kleines Stottermaul, wo ich doch sein Sohn war. Sein Sohn, und er hat mich versteckt wie ’nen dreckigen Nachttopf.“ Sein Gesicht verzog sich. „Ich hab alles gemacht, was er von mir verlangt hat… ich hätte sogar jemanden umgebracht, um ihm zu gefallen … aber das war alles egal. Er wollt’ immer nur dich, du verdammter Parasit!“
    „Es tut mir leid“, sagte Evie, und das ehrliche Bedauern in ihrer Stimme schien ihn für einen Moment zu verwirren.
    Er zögerte und starrte sie mit seltsam zur Seite gelegtem Kopf an. „Mr. Bullard … Joss … Du warst meinem Vater wichtig. Sein letzter Wunsch war, dass man dir helfen und sich um dich kümmern sollte.“
    „Dafür isses nun zu spät!“ Er keuchte und hob beide Hände, auch die mit dem Messer, an den Kopf, als verspürte er einen unerträglichen Schmerz in seinem Schädel. „Verdammt … ah … der Teufel soll ihn holen …“
    Evie sah eine Chance zu fliehen und stürzte zur Tür. Aber Bullard fing sie sofort ein und stieß sie hart gegen die Wand. Als ihr Kopf gegen die harte Fläche stieß, schien etwas in ihrem Gehirn zu explodieren, und die Welt zersplitterte zu einem glitzernden Meer in Grau und Schwarz. Sie kämpfte um klare Sicht, blinzelte und stöhnte.
    Hoch über ihrer Brust waren ein unangenehmer Druck und ein brennendes Gefühl an ihrem Hals. Langsam wurde ihr klar, dass Bullard seinen Arm um ihre Kehle geschlungen hatte, wobei das lange Messer den Kreis schloss. Der scharfe Stahl

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