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Es begann in einer Winternacht

Es begann in einer Winternacht

Titel: Es begann in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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Morgenluft. Ihnen folgte die große Menge der Trauernden, eine seltsame Mischung aus wohlhabenden Männern, Kaufleuten, Adligen und Gaunern. Freund und Feind war gleichermaßen vertreten. Egal welchen Beruf jeder ausübte oder welche Meinung er vertrat, die Konventionen der Trauer mussten befolgt werden.
    Es wurde erwartet, dass Evie nicht an der Beerdigung teilnahm, da feine Damen als zu empfindlich galten, um solch harsche Realität zu ertragen. Aber Evie hatte darauf bestanden, dabei zu sein. Sie fand Trost in dem Ritual, als würde es ihr helfen, Abschied von ihrem Vater zu nehmen. Sebastian hatte erst diskutieren wollen, bis Cam eingegriffen hatte.
    „Jenner muss von der Trauer seiner Tochter erlöst werden“, hatte der Zigeuner zu Sebastian gesagt, gerade als die Diskussion hitzig zu werden versprach. „Die Roma denken, dass der Tote gezwungen wird, durch den Schleier zurückzukommen, um zu versuchen, den Hinterbliebenen zu trösten, wenn jemand zu sehr um einen geliebten verstorbenen Menschen trauert. Wenn die Beerdigung ihr helfen kann, ihn gehen zu lassen …“ Er hatte innegehalten und vielsagend mit den Schultern gezuckt.
    Mit einem vernichtenden Blick hatte Sebastian nachgegeben. „Schon wieder Geister“, sagte er säuerlich. Aber er hatte die Diskussion fallen lassen und Evies Wünschen entsprochen.
    Nachdem sie so viel geweint hatte, dass sie keine Tränen mehr zu haben schien, gelang es Evie, die Beerdigung mit stoischer Ruhe durchzustehen, selbst als die erste Erde auf den Sarg geschaufelt wurde. Einige salzige Tränen waren ihr allerdings doch aus den Augenwinkeln gedrungen, als der Sarg schließlich vollkommen bedeckt und Cam mit einer kleinen silbernen Flasche vorgetreten war. Nach der Tradition der Roma hatte er ernst einen Schluck Brandy auf das Grab gegossen.
    Von der Geste verärgert, machte der ältere Pfarrer einen Schritt nach vorne und schimpfte: „Unterlassen Sie das! Wir wollen hier keine von Ihren heidnischen Bräuchen! Die heilige Erde mit billigem Alkohol entweihen …“
    „Sir“, fiel Sebastian ihm ins Wort, trat vor und legte eine ruhige Hand auf die Schulter des Geistlichen. „Ich denke nicht, dass es Jenner etwas ausgemacht hätte.“ Er ließ ein verschwörerisches Lächeln über seine Lippen huschen, bevor er hinzufügte: „Es ist französischer Brandy und ein exzellenter Jahrgang. Vielleicht erlauben Sie mir, einige Flaschen zu Ihnen nach Hause zu schicken, sodass Sie ihn in aller Ruhe kosten können?“
    Von dem überwältigenden Charme des Viscounts besänftigt, lächelte der Geistliche zurück. „Das ist sehr freundlich, Mylord. Danke.“
    Nachdem die meisten Trauergäste gegangen waren, ließ Evie ihren Blick rund um den Platz gleiten, über die Läden, die Häuser und die Manufaktur, die schwarze Schuhcreme herstellte. Ihre Aufmerksamkeit wurde plötzlich von dem Gesicht eines Mannes geweckt, der neben einer Straßenlaterne auf der anderen Seite des Platzes stand. Er trug einen dunklen Mantel und eine dreckige graue Kappe und war nicht zu erkennen, bis ein langsames Lächeln auf seine Lippen kam.
    Es war Joss Bullard, wurde ihr mit einem überraschten Aufschrecken klar. Anscheinend wollte er Ivo Jenner seinen Respekt erweisen, wenn auch nur aus der Ferne. Aber er trug nicht den Gesichtsausdruck eines Mannes in Trauer.
    Tatsächlich sah er böse aus, sein Gesicht verzogen von solcher Heimtücke, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken jagte. Er ließ sie nicht aus den Augen und zog dann einen Finger in einer unmissverständlichen Geste über seine Kehle, was sie einen unwillkürlichen Schritt zurück machen ließ.
    Sebastian bemerkte ihre Bewegung, wandte sich zu ihr und legte ihr unwillkürlich die schwarz behandschuhten Hände auf die Schultern. „Evie“, murmelte er und sah mit leichter Besorgnis in ihr blasses Gesicht. „Ist alles in Ordnung?“
    Evie nickte und blickte noch einmal schnell zu der Laterne hinüber. Bullard war nicht mehr zu sehen. „Mir ist nur ein wenig k-kalt“, antwortete sie. Ihre Zähne klapperten, als ein scharfer kalter Wind ihr die Kapuze vom Haar wehte.
    Sofort zog Sebastian die Kapuze wieder an Ort und Stelle und zog den Mantel enger um ihren Hals. „Ich werde dich zurück in den Club bringen“, sagte er. „Ich gebe den Bestattern und Kutschern nur noch etwas Geld, und dann können wir gehen.“ Er griff in seinen Mantel, zog einen kleinen Lederbeutel hervor und ging zu der Gruppe Männer herüber, die respektvoll

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